Digitalisierung einer Karte (Foto SLUB, CC BY-SA)

Digitales Miteinander: Wer kontrolliert die Plattformen?

Am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena wird untersucht, wie digitale Plattformen die Verbreitung menschenfeindlicher oder verschwörungsideologischer Narrative beeinflussen. 


(Foto: Unsplash / Philipp Katzenberger)

Im Interview erläutert Maik Fielitz vom durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierten Projekt NEOVEX, wie der digitale Diskurs auf die Demokratie wirkt:

MdM: Herr Fielitz, Sie sprechen in Ihrer Forschung unter anderem vom „Mythos der politischen Neutralität von Plattformen“. Was ist damit gemeint – und wer kultiviert diesen Mythos?

FIELITZ: Der Mythos der Neutralität zieht sich prinzipiell durch diverse Technologien. Technologie prägt unser Leben, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Dabei wird die Art und Weise, wie wir mit Technologie interagieren durch deren Mechanik und das Design festgelegt: Bestimmte Verhaltensweisen werden belohnt oder bestimmte Handlungen auch erst möglich gemacht. Digitale Plattformen verbinden Millionen von Menschen miteinander – darum sind da Entscheidungen über bestimmte Interaktionsformen notwendigerweise politisch: Wie werden die Inhalte angeordnet, welchen Richtlinien haben die User zu folgen, wie geht man mit politischer Werbung um, löscht man die Accounts von Verschwörungstheoretikern? Das sind alles Fragen, in denen es unmöglich ist, eine neutrale Position einzunehmen – zumal einflussreiche Akteure in die Firmen investieren. Ihre Entscheidungen beeinflussen das Geschehen auf der ganzen Welt. Plattformen werden so zu einflussreichen Akteuren... sie betreiben Politik.

Wird Ihrer Ansicht nach mit diesem Kuratieren und Ausspielen von Informationen und Meinungen der gesellschaftliche Diskurs durch digitale Plattformen eher erst ermöglicht oder eher verzerrt? 

Was die Plattformen zunächst ermöglichen ist, mit eigens produzierten Inhalten ein globales Publikum zu erreichen – und das ohne größere Ressourcen aufzuwenden oder eine spezielle Ausbildung zu haben. Sie durchbrechen also die Gatekeeper-Funktion der herkömmlichen Medien und bringen so Informationen, Meinungen und politische Positionen in den Umlauf, die ohne die Verstärkereffekte wohl untergegangen wären. Plattformen verweisen gern auf gesellschaftliche Debatten, die über ihre Nutzer angestoßen oder koordiniert wurden, beispielsweise die #MeToo- oder die Black Lives Matter-Bewegung. Zugleich ist eine Verzerrung des Diskurses den Plattformen inhärent, denn sie splittern den Diskurs in viele „Teilöffentlichkeiten“ auf.

…die vielbeschworenen „Filterblasen“?

Zumindest hat die zielgerechte Zuspielung, aber auch die selbst gewählte Filterung von Inhalten zur Folge, dass die Menschen eine konträre Sicht auf die Realität erhalten. Es ist dabei nicht unbedingt so, dass sich Blasen voneinander isolieren. Im Gegenteil zeigt die Forschung, dass die Interaktion mit einem Gegenüber – und die damit einhergehenden Abstoßungseffekte – die eigene Meinung verhärten.

Viele öffentliche Stellen nutzen für ihre Kommunikation nach außen inzwischen ganz wesentlich die digitalen Plattformen, von Ministerien bis zu städtischen Verkehrsbetrieben. Sehen Sie dabei eine problematische Abhängigkeit?

Prinzipiell ist es zu begrüßen, dass öffentliche Stellen transparenter kommunizieren. Das trägt auch zum Vertrauen in Institutionen bei. Relevante Informationen können viel einfacher Menschen erreichen, die sonst nicht erreicht würden. Zugleich wird es problematisch, wenn öffentliche Stellen sich in ihrer Öffentlichkeitsarbeit vollkommen von Plattformen abhängig machen – auch weil sie oft nicht die Ressourcen haben, eine professionelle Pflege ihrer Accounts gewährleisten zu können. In der Politik wird es kritisch, wenn die Plattformen genutzt werden, um an den Medien vorbei zu kommunizieren. Die unvermittelte Kommunikation zwischen Regierenden und Bevölkerung wurde durch den Einsatz eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks bewusst verworfen, um Propagandamechanismen einzudämmen. Dass sich politische Debatten so stark auf digitale Plattformen verlagern, führt dazu, dass die Position der Plattformen gestärkt wird und sie die Regeln des demokratischen Diskurses festlegen können. Die über die Plattformen ausgespielten Statements, Videos und Share-Pics sind stets Argumente gegen eine effektive Regulierung.

Stichwort Regulierung: Die EU-Kommission will mit dem „Digital Services Act“ Plattformen wie etwa den sozialen Medien bestimmte Pflichten auferlegen – ein erstes Verfahren gegen „X“ wurde bereits eingeleitet. Welche Wirkungen erwarten Sie von solchen Maßnahmen?

Es wird sich zeigen, ob der DSA tatsächlich zu einem Umdenken der Unternehmen führen kann. Wenn es der Kommission ernst ist mit der Umsetzung, dürften viele Plattformen nicht mehr so funktionieren, wie wir sie heute kennen. Da Europa nicht der größte Markt ist, gehe ich davon aus, dass die Unternehmen genau abwägen, wieviel Einschnitte dem Geschäftsmodell zuträglich sind und wieviel Zugeständnisse gemacht werden können. Ich erhoffe mir, dass der DSA auch wieder Anlass sein kann, die generelle Struktur der digitalen Öffentlichkeit in Demokratien zu überdenken: Zurzeit liegt der Fokus auf schnellen Löschungen und Strafregelungen, wenn bestimmte Maßnahmen nicht eingehalten werden. Es sollte vielmehr auch diskutiert werden, inwiefern der Zugang zu einem globalen Publikum presserechtlich stärker reguliert werden müsste. Eine stärkere Trennung von sozialen Netzwerken, die uns privat mit Menschen verbinden, und sozialen Medien, die eine Öffentlichkeit herstellen und somit Verantwortung mit sich bringen, sehe ich als unerlässlich – auch wenn die Aufhebung der Sphären heute schon vollkommen internalisiert ist.

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In diesem Jahr stehen unter anderem in Sachsen und Thüringen Landtagswahlen an. Wie sehen Sie die Rolle der digitalen Plattformen für die politische Auseinandersetzung?

Plattformen haben im Wahlkampf heute eine unverzichtbare Rolle. Eine besondere Rolle spielt bei diesem Mal sicherlich TikTok, eine videobasierte Plattform, auf der die AfD eine ganz deutliche Dominanz hat und Maßstäbe setzt. Aber auch auf den anderen Plattformen sind demokratische Parteien nicht gut aufgestellt, was für einige Menschen ein falsches Kräfteverhältnis suggeriert. Genau hier liegt auch das Dilemma: Sollen sich demokratische Akteure in einem „digitalen Wettrüsten“ aufreiben, in dem sie strukturell benachteiligt sind? Beispielsweise verbietet es sich für demokratische Akteure, mit dramatisierenden Inhalten, Lügen oder so genannten „Sockenpuppen-Accounts“ zu hantieren – alles Mittel, die in antidemokratischen Parteien pragmatisch genutzt werden. Wir sehen versuchte Zuspitzungen und auch duellhafte Herausforderungen der AfD. Da zeigt sich, dass ein Weg darin gesehen wird, sich der Logik der Plattformen anzupassen. Ob das zu einem verständigungsorientierten Diskurs beiträgt, wage ich zu bezweifeln.

Will das IDZ als Forschungsinstitut selbst aktiv auf den digitalen gesellschaftlichen Diskurs Einfluss nehmen oder eine reine Beobachterrolle einnehmen?

Wir werden die Bürgerinnen und Bürger in Thüringen mit verschiedenen Formaten auf eine informierte Wahl vorbereiten. Hierzu gehören Situations- und Ressourcenanalysen in verschiedenen Landkreisen, Bürgerdialoge, Streitgespräche und Wahlanalysen. Wir möchten außerdem stärker zu einer Versachlichung der Debatte darüber beitragen, warum viele Menschen Rechtsaußen wählen. Hierzu arbeiten wir eng mit zivilgesellschaftlichen Partnern zusammen. Wir möchten auch in ländlichen Regionen mehr sichtbar werden und zu einer demokratischen Streitkultur beitragen. Das sind die Wege, mit denen wir Einfluss nehmen; eine Wahlempfehlung oder ähnliches verbietet sich für uns als unabhängiges Forschungsinstitut.

Zum Abschluss eine eher persönliche Frage: Haben Sie selbst noch einen Account auf „X“? Welche Alternativen zu der umstrittenen Plattform sehen Sie?

Tatsächlich habe ich aus pragmatischen Gründen noch einen Account auf „X“. Ich bin hier international mit vielen Forschenden verbunden und würde viele relevante Informationen und Entwicklungen wohl nicht wahrnehmen auf einer anderen Plattform. In den letzten Monaten haben sich verschiedene Alternativen aufgestellt: Bluesky, Mastodon und Threads untermalen, dass das Micro-Blogging neben den eher visuellen oder audiovisuellen Plattformen noch immer eine wichtige Rolle im digitalen Kosmos hat. Allerdings zeigt sich auch, dass die zunehmende Sortierung der digitalen Öffentlichkeit nach politischen Präferenzen auch mit Problemen behaftet ist. So verbreiten sich Dynamiken der Selbstbestätigung auf den Alternativplattformen, die demokratische Akteure dann auch von größeren Debatten abkoppeln können. Prinzipiell gilt: Wo eine große Öffentlichkeit zusammenkommt, sollten demokratische Stimmen nicht fehlen. 

Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Frank Kaltofen.

Maik Fielitz verantwortet den Bereich Demokratie-, Digital- und Rechtsextremismusforschung am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena und ist Ko-Leiter der Forschungsstelle der Bundesarbeitsgemeinschaft „Gegen Hass im Netz“. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen soziale Medien und digitale Kulturen sowie die Moderation und Regulation von digitalen Plattformen.

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