Das Völkerschlacht-Denkmal zu Leipzig.

Zum 200. Geburtstag Carl Adolph Riebecks: Unikum der frühen Industrialisierung

von Simone Trieder
 

(Historische Postkarte mit Ansicht des Riebeckplatzes in Halle an der Saale)

Man fährt über Kohlen auf der Bundesstraße 91 von Weißenfels nach Zeitz. Wie ein Damm zieht sich die Straße durch ein Gebiet, das zum braunkohlereichsten Mitteldeutschlands gehörte; seit mehreren Jahrhunderten wird hier Braunkohle abgebaut. Als Carl Adolph Riebeck zu Fuß zu seinen ersten Gruben nach Goßerau und Webau ging, sah die Gegend etwa so aus: Schornstein an Schornstein, die alle rauchen, auf vielen flammt obenauf eine Fackel und von Zeit zu Zeit zischt ein regelrechtes Feuerwerk durch die Nacht – so eindrucksvoll präsentiert sich der Beginn der Braunkohlewerke in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Weißenfelser Gebiet. 

Riebeck interessiert sich nicht nur für den Bergbau, sondern auch für die Verarbeitung der Braunkohle. Er erkennt den Wert des Halbfabrikats Teer, das durch Verschwelung entsteht, er sieht die Zuckerindustrie wachsen und wittert deren Bedarf an Energie, also lässt er Brikettes pressen. Als er 1883 stirbt, gehören ihm drei Mineralölfabriken, 15 Bergwerke, 31 Schwelereien, 27 Brikettpressen, sieben Ziegeleien, sieben Rittergüter und eine Brauerei. Er beschäftigt etwa 4.000 Menschen.

Aufstieg aus einfachen Verhältnissen

Carl Adolph Riebeck wird am 27. September 1821 in Clausthal im Harz geboren. Clausthal ist ein alter Bergwerksort und die Vorfahren Riebecks sind dort seit 1619 ansässig; sie waren ausnahmslos Bergleute. Das Leben muss sehr armselig sein, denn der zehnjährige Carl Adolph geht in Harzgerode, wohin der Vater gezogen war, nach der Volksschule auf die Halde zum Erzausschlagen. Die Pochjungen hatten das Erz vom tauben Gestein zu trennen, für 25 Pfennige Tageslohn. 

Mit 18 Jahren verlässt Riebeck den Harz. Er erwirbt in mitteldeutschen Gruben Kenntnisse zu Fundstätten und Beschaffenheit der Kohle. Er wird Obersteiger und 1855 Berginspektor bei der eben gegründeten Sächsisch-Thüringischen Aktiengesellschaft. 1857 und 1858 ist Riebeck im Zechenbuch der Grube „Theodor“ in Ammendorf bei Halle verzeichnet – diese Grube wird er später selbst besitzen. 

Nun ist Riebeck soweit, dass er eine leitende Stellung für sich angemessen findet. Aber in der Gesellschaft ist man anderer Meinung: Ihm fehle die nötige Bildung. Diese Entscheidung wird Riebeck, den Praktiker, zum Verächter der Gebildeten machen. Als er die angestrebte Stelle nicht bekommt, verlässt er die Gesellschaft. Er macht sich 1858 selbständig.

Der Braunkohlereichtum ist die Voraussetzung für die Industrialisierung Mitteldeutschlands. Die Besonderheit der mitteldeutschen Kohle ist ihr hoher Bitumengehalt. Dieser zeigt sich in der gelblich bis weißlichen Färbung. Die „gelbe Kohle“ oder auch „weiße Kohle“ war zum Heizen weniger geeignet. Durch trockene Destillation ließ sich Teer gewinnen, aus dem Paraffin hergestellt werden kann, Grundlage für die Kerzenproduktion – Riebecks erstes Kerngeschäft.

Wer war dieser Riebeck, der „eigentlich nichts weiter sein eigen nannte, als einen praktischen Geschäftssinn und einen eisernen Willen“?

Bereits 1859 expandiert Riebeck und macht sich auf die Suche nach einem Kredit. Doch die Banken begegnen dem jungen Industriezweig mit Misstrauen. Wer war dieser Riebeck, der „eigentlich nichts weiter sein eigen nannte, als einen praktischen Geschäftssinn und einen eisernen Willen“? Er spricht mehrmals bei dem halleschen Bankier Ludwig Lehmann vor. Der schließlich gewährte einen Kredit von 20.000 Talern. Die Bedingungen sind eigentlich abschreckend: Riebeck gibt ein Viertel des Erlöses an das Bankhaus ab. Doch der Unternehmer ist sich sicher, dass er das Geschäft seines Lebens macht.

Er kauft weitere Kohlefelder in Webau, Rößuln, Aupitz und Reußen zu günstigsten Preisen. Er baut Fabriken. Die Kohle hat einen traumhaft hohen Teergehalt. Die Produktion wird enorm gesteigert, Bankier Lehmann als stiller Gesellschafter macht ebenfalls ein „glänzendes Geschäft“. Bis 1862 zahlt Riebeck pro Zentner Teer, für den er fünf Taler bekommt, ein Viertel an Lehmann. Dann löst er sich aus und zahlt eine Abfindungssumme von einer Million Taler in Raten. Innerhalb von drei Jahren sind die Riebeckschen Werke die wichtigsten der Region.

Faible für Innovation

Neben einem eisernen Willen hat Riebeck Sinn für technische Neuerungen. Das erste Werk wird in seiner Ausrüstung als „abenteuerlich“ beschrieben. Nachdem durch die Konkurrenz aus Übersee die Kerzenproduktion für Riebeck unwirtschaftlicher wird, wendet er sich einem noch sehr jungen Industriezweig zu, der Brikettherstellung. Wie aufwendig und technisch ausgereift das Verfahren des Brikettierens ist, kann man sich in der Brikettfabrik Hermannschacht in Zeitz vor Augen führen, die heute ein technisches Museum ist: Hier wurden von 1889 bis 1959 die Briketts genauso hergestellt, wie in Riebecks 27 Brikettpressen.

Der Bedarf an Brikettpressmaschinen fördert in den 1870er Jahren einen anderen Industriezweig: den Maschinenbau. Der Plan geht auf, die Briketts verdrängen die bis dahin preiswertere Braunkohle aus Schlesien und die Nass-Press-Steine. Das Brikett ist ein typisches Großstadtprodukt; Berlin, Leipzig und Halle sind die Hauptabnehmer.

Oskar Stillich untersucht 1908 in seiner Schrift Die Entstehung eines Riesenvermögens die Gründe für Riebecks Reichtum. Er sieht sie zum einen in der Persönlichkeit Riebecks als umsichtigen Praktiker, der vorausschauend, schnell, auch risikobereit Entscheidungen trifft. Er sieht sie im Zusammentreffen von Talent und Kapital, der stillen Teilhaberschaft des Bankhauses Lehmann durch den Kredit.

1866 verlegt Riebeck seinen Wohn- und Geschäftssitz nach Halle. Dort ist er in die Geschäftswelt wie in das politische Leben integriert. Das zeigt er auch: Das palaisartige zweistöckige Wohn- und Geschäftshaus am Leipziger Platz hatte eine stolze Flucht von 22 Fenstern. Er ist 1868 bis 1881 Stadtverordneter in Halle und Mitglied der Industrie- und Handelskammer.

Ein ruheloser Unternehmer

Während Riebecks Kerzen sogar dem Papst leuchten, findet er selbst keine Ruhe: Sein Wohnhaus ist gleichzeitig sein Geschäftshaus, nicht einmal in verschiedene Etagen sind Privates und Geschäftliches getrennt. Er war bekannt dafür, nichts aus der Hand zu geben – alles musste er selbst kontrollieren. Sein Privatleben scheint aufs Nötigste reduziert. 

In der Festschrift A. Riebecksche Montanwerke von 1933 (auch die „Riebeck-Bibel“ genannt) wird die erste Ehe Riebecks mit Marie Renke, die er 1847 heiratete, kurz als eine „sehr glückliche“ charakterisiert. Der Ehe entstammen nicht weniger als 17 Kinder; nur knapp die Hälfte überlebt das frühe Kindesalter. Vier Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete Riebeck 1877 Emilie Balthasar, die Tochter des Kreisgerichtsrates in Weißenfels.

Das einzig bekannte Foto des „Braunkohlebarons“ zeigt ein ernüchterndes Bild von Riebeck: Wir sehen ein trauriges Walross mit Schnauzer, heruntergezogenen Augenlidern und hängenden Armen, mit einem kahlen Schädel, bis auf einen kleinen buschigen Haarkranz. Eine lustlose, energiearme Haltung und ein geradezu unwilliges Gesicht, als langweile es ihn zu Tode – das Stillsitzen. Man könnte fast Mitleid mit diesem dicken, traurigen Mann haben: Es ist nichts von der ihm oft nachgesagten rastlosen Energie zu sehen.

Trotz „körperlicher Rüstigkeit“ erliegt Riebeck mit 62 Jahren einer typischen Stresskrankheit: der Herzverfettung. Riebeck hatte kaum Privatleben; er hatte keine anderen Interessen – außer Geschäfte zu machen. Sieben seiner 15 Gruben tragen die Namen von Familienangehörigen, meist die seiner Kinder, eine Sentimentalität – diese „Kinder“ sah er gewiss öfter als seine eigenen.

Carl Adolph Riebeck ist ein Unikum der frühen Industrialisierung, ein geschickter Experimentator des Kapitals, ein Kapitalist der ersten Stunde, der Verantwortung für seine Arbeiter spürte und übernahm. 1891 benennt die Stadt Halle den Leipziger Platz, an dem sich das Verwaltungsgebäude der Riebeckschen Werke befindet, in Riebeck-Platz um. In der DDR wurde dieser zum Thälmann-Platz – daran konnten sich viele Hallenser nicht gewöhnen. So blieb der Riebeckplatz latent erhalten, bis er 1991 wieder zurückbenannt wurde. Und so noch heute an einen Mann erinnert, dessen märchenhafter Werdegang beeindruckt: vom Bergjungen zum Millionär.

Die Autorin

Simone Trieder ist seit 1992 als Autorin mit dem Themenschwerpunkt Regionales tätig und war u.a. Stadtschreiberin von Halle/Saale (2005). Von ihr stammt das biografische Werk „Carl Adolph Riebeck“ (Mitteldeutsche kulturhistorische Hefte Nr. 5, Hasenverlag Halle/Saale, 2. Auflage 2020).

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