Eine Residenz im Ausnahmezustand
Vor 500 Jahren tobte der Bauernkrieg – auch in der Region, die heute Mitteldeutschland bildet. Ein regionalhistorischer Blick auf die Residenzstadt Schleusingen, Graf Wilhelm von Henneberg und den Bauernkrieg 1525.
von Janis Witowski
(Bild: Hennebergisches Museum Kloster Veßra)
Am 3. Mai 1525 schickte der junge Markgraf von Brandenburg, Joachim II. (1505–1571), von Cölln an der Spree aus, einen Brief an seinen Verwandten Herzog Albrecht von Preußen (1490–1568). In seinem Schreiben bezog sich Joachim auf zwei bedeutende Ereignisse des Jahres 1525: Zum einen kommentierte er eine politisch bedeutende Entscheidung Albrechts, die hier nicht weiter interessieren soll.
Zum anderen berichtete Joachim II. von den weitgreifenden Aufständen, die in der Mitte und im Süden des Heiligen Römischen Reiches wüteten und die bereits die Zeitgenossen als „Bauernkrieg“ zu bezeichnen pflegten. Dabei machte der junge Brandenburger keinen Hehl daraus, worin er die Motivation der Bauern sah: „[…] alle der fursten, graven und hern auch der vom adel kinder, die sie uberkomen, die hauen sie zu stucken in der meinung, die fursten und den adel genzlich zu vertilgen“.
An einem Beispiel gedachte Joachim seinem Briefpartner die Rücksichtslosigkeit der Bauernhorden vor Augen zu führen. So hätten die Bauern nicht nur Graf Wilhelm von Henneberg (1478–1559) aus seinem Territorium vertrieben, sondern auch seine hochschwangere Gemahlin Anastasia von Brandenburg (1480–1534) – ebenfalls eine Verwandte Joachims – bis auf die Unterkleider ausgezogen und gezwungen, die Kleidung einer Bäuerin anzulegen. Der Vorgang, den Joachim von Brandenburg in Worte fasste, kam einer Verachtung der gottgewollten Ständeordnung gleich und dürfte bei dem adligen Leser in Preußen tiefe Bestürzung ausgelöst haben. Allein, das beschriebene Ereignis hat so niemals stattge-funden.
Schleusingen und die Aufständischen
Das am Südausläufer des Thüringer Waldes gelegene Schleusingen, die damalige Residenzstadt Graf Wilhelms von Henneberg-Schleusingen und seiner Ehefrau Anastasia von Brandenburg, wurde während des Bauernkrieges weder belagert noch eingenommen. Das bedeutet nicht, dass die Lage für Graf Wilhelm, seine Frau und seine Residenz während des Aufstands nicht dramatisch gewesen wäre.
Am 3. Mai 1525 – genau an dem Tag also, an dem Joachim im weit entfernten Cölln seinen Brief nach Preußen aufgab – weilte Graf Wilhelm IV. von Henneberg vor den Toren Meiningens. Zu Fuß war der Henneberger Landesherr vor die Aufständischen des sogenannten Werrahaufens getreten – als Haufen bezeichnete man seinerzeit größere Gruppen von Aufständischen. Ihnen hatte der Graf eine Urkunde übergeben, in der er sich den Bauern anschloss und schwor, ihre Forderungen, die „Zwölf Artikel“, anzunehmen: Ein großer Sieg für den Werrahaufen, in dem sich mehrere tausend Dorf- und Stadtbewohner, darunter auch zahlreiche Bürger, einige Adlige und Kleriker aus den würzburgischen und hennebergischen Gebieten, zusammengeschlossen hatten.
Alternativlose Entscheidung
Für Wilhelm von Henneberg war die Vertragsunterzeichnung eine unbequeme Notwendigkeit. „Das getan oder totgeschlagen“, so charakterisierte der Graf selbst 1526 die Alternativlosigkeit der Handlung; der Empfänger seiner Rechtfertigung war zufälligerweise derselbe Herzog Albrecht von Preußen, dem Joachim II. ein Jahr
zuvor von der angeblichen Vertreibung Wilhelms berichtet hatte. Wilhelm schloss sich notgedrungen einem der beiden großen Bauernhaufen an, die in seinem Herrschaftsgebiet operierten.
Aus Sicht des Grafen war dies die einzige Möglichkeit, sein politisches Überleben zu sichern. Den in den Hochstiften Bamberg und Würzburg ausbrechenden Erhebungen hatte Wilhelm von Henneberg zunächst nur zugesehen und offensichtlich gehofft, sie für seine Zwecke ausnutzen zu können. Als der sich nahe dem unterfränkischen Münnerstadt formierende Bildhäuser Haufen (benannt nach dem eingenommenen Kloster Maria Bildhausen) durch hennebergisches Gebiet marschierte und etliche Untertanen Graf Wilhelms zum Anschluss bewog, hatte man endlich auch am hennebergischen Hof in Schleusingen die unheilvollen Vorzeichen drohender Gefahr erkannt. Mit würzburgischem Geld und in aller Eile bemühte sich der Henneberger ein Heer auszuheben, um den Aufstand in seinen Landen niederzuschlagen. Dies gelang nicht.
Allerorten waren die Untertanen vom Grafen abgefallen, zahlreiche niederadlige Vasallen wurden genötigt, die Reihen der Bauernhaufen zu verstärken. Die Hilfegesuche aus Schleusingen an benachbarte Fürsten und Grafen blieben erfolglos, da Wilhelms Standesgenossen aus Schwarzburg, Brandenburg-Kulmbach oder Sachsen mit eigenen Revolten zu kämpfen hatten.
Schleusingen rechnet mit der Belagerung
Angesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit des Gegners und des Anschlusses von Graf Wilhelms Vetter, Hermann VIII. von Henneberg-Aschach-Römhild († 1535), der befürchten ließ, dass die Bauern bald auch mauerbrechende Geschütze erhalten würden, suchte der Henneberger sein Heil in einem Bündnis mit den Aufständischen. Doch die oben erwähnte Vertragsunterzeichnung bei Meiningen sorgte nur kurzzeitig für Entspannung. Die Bildhäuser Bauern fühlten sich an die Abmachungen kaum gebunden und konfrontierten den Grafen darüber hinaus mit seiner Doppelstrategie, sich den Bauern gegenüber wohlgesonnen zu geben, doch gleichzeitig an ihrer Vernichtung zu arbeiten.
Wilhelm war sich bewusst, dass seine Macht nurmehr auf ein kleines Gebiet mit einigen wenigen Stützpunkten zusammengeschrumpft war: Einzig die Schlösser Kaltennordheim, Ilmenau, Maßfeld und Schleusingen hatte er noch. Seine verbliebenen Ressourcen konzentrierte Wilhelm aber vor allem auf Maßfeld und Schleusingen. Für die Residenzstadt wurde eine neue Wachordnung aufgestellt. Die Stadtverteidigung lag in der Hand gräflicher Vasallen und des Stadtbürgertums. Niemandem durfte ohne Erlaubnis des Grafen oder zumindest des Bürgermeisters Einlass gewährt werden. Selbst die Dienerschaft in den Frauengemächern des Schlosses bekam die Anweisung, mehrmals am Tag aus den Fenstern zu schauen und zu melden, sobald sich jemand näherte. In Schleusingen wurden Truppen und Vorräte zusammengezogen. Man rechnete mit einer Belagerung.
Dass diese bis zur Niederschlagung der Aufstände im Mai und Juni 1525 ausblieb, war nicht allein dem Zufall geschuldet. Die in Haufen formierten Aufständischen agierten keineswegs impulsiv. Der Gewalthaufen war eine Organisationseinheit des zeitgenössischen Kriegswesens; ehemalige und aktive Söldner und in der Stadtverteidigung bewanderte Stadtbewohner verstärkten als Hauptleute und Kommandeure die Reihen der Aufständischen mit militärischer Expertise. Den Risiken einer glücklosen Belagerung waren sich diese Leute sehr wohl bewusst. Eine Eroberung Schleusingens zogen sie offenbar gar nicht erst in Betracht. Hinzu kommt, dass die Schreiben, die von den Bauernhaufen selbst herausgingen, keineswegs den Willen erkennen lassen, Graf Wilhelm von Henneberg als Landesherrn zu beseitigen – die Bauern wollten ihn vielmehr als Verbündeten für ihre Sache gewinnen. Radikale Stimmen ließen sich nur sehr vereinzelt hören.
Die historische Rekonstruktion der Ereignisse von April bis Juni 1525 strafen den Bericht des Joachim von Brandenburg Lügen. Ob der junge Markgraf von Cölln aus bewusste „Fake News“ verbreitete oder Gerüchten aufgesessen war, lässt sich nicht mehr ermitteln. Gesagt sei aber eins: Dass Anastasia von Brandenburg schwanger gewesen war, wie kolportiert worden ist, darf als ausgeschlossen gelten. Das letzte Kind der mittlerweile 45 Jahre alten Gräfin – ein Mädchen namens Elisabeth, die später Nonne im Frauenkloster Trostadt war – wurde nachweislich 1517 geboren.
Der Autor
Dr. Janis Witowski ist Leiter des Historischen Museums und stellvertretender Direktor des NaturHistorischen Museums Schloss Bertholdsburg in Schleusingen.
Der Mittelalterhistoriker beschäftigt sich im Schwerpunkt mit der Geschichte der Grafschaft Henneberg.
Mehr erfahren
Sonderausstellung im Schloss Bertholdsburg Schleusingen (bis 09. November 2025)
Bauern an den Mauern. Die Residenzstadt Schleusingen im Bauernkrieg von 1525