Anna-Amalia-Bibliothek - durch Brand weitgehend zerstörtes Buch

„Natürlich schmerzt jedes verlorene Buch“

Anlässlich des im kommenden Jahr bevorstehenden 20. Jahrestags des verheerenden Brands in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar hat die Klassik Stiftung das Zeitzeugen-Projekt „Future Memory“ gestartet. Wie hat sich der Brand im kollektiven Gedächtnis eingeschrieben und wie erinnern sich die Menschen in Weimar an die Brandnacht?


(Foto: Bodow/wikicommons, CC BY-SA 4.0)

Im nächsten Herbst jährt sich zum zwanzigsten Mal der verheerende Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar: Am Abend des 2. September 2004 war damals ein Feuer ausgebrochen, dem nicht nur ein großer Teil der historischen Bausubstanz, sondern auch etwa 50.000 Bücher und 35 Gemälde aus dem 16. bis 18. Jahrhundert zum Opfer fielen, darunter ein großer Teil der Musikaliensammlung der Herzogin Anna Amalia verbrannt. 

Von den weiteren, durch Löschwasser, Hitze oder Rauchbelastung in Mitleidenschaft gezogenen Beständen wurden viele inzwischen restauriert. Noch bis ins Jahr 2028 soll aber in einer eigenen Restaurierungswerkstatt ein Teil der so genannten Aschebücher restauriert werden, die direkt den Flammen ausgesetzt waren. 

Anlässlich des bevorstehenden 20. Jahrestages initiiert die Klassik Stiftung Weimar das Projekt „Future Memory Herzogin Anna Amalia Bibliothek“. Im Interview erläutert Veronika Spinner, Referentin für Brandfolgeprojekte und Leiterin des „Future Memory“-Projekts, welche Erinnerungen gesammelt werden sollen und wie die Ereignisse der Brandnacht bis heute nachwirken:

Frau Spinner, welche Rolle spielt die verhängnisvolle Herbstnacht des Jahres 2004 heute im kollektiven Gedächtnis der Klassikstadt Weimar?

VERONIKA SPINNER: Die Brandnacht ist immer noch ein wichtiges Ereignis im Gedächtnis der Stadt. Damals haben unzählige Menschen aktiv mitgeholfen oder Spendenaktionen organisiert. Wie genau der Brand im kollektiven Gedächtnis eingeschrieben ist, das möchten wir mit unserem Projekt „Future Memory – Zeitzeugen berichten“ herausfinden und dokumentieren.

Was wurde aus den damals schwer beschädigten, aber nicht ganz zerstörten Büchern? 

Nach dem Brand konnten aus dem Brandschutt etwa 25.000 stark beschädigte Bücher geborgen werden. Diese sogenannten Aschebücher waren dem Feuer direkt ausgesetzt und sind dementsprechend teilweise verbrannt. Bei etwa einem Viertel dieser Bücher ist eine Restaurierung möglich und sinnvoll. Diese erfolgt in unserer eigenen Restaurierungswerkstatt für brandgeschädigtes Schriftgut in Weimar-Legefeld. Nach der Restaurierung sind die Bücher wieder benutzbar und können in unserem Lesesaal eingesehen werden.

Was wird bis heute besonders schmerzlich vermisst?

Natürlich schmerzt jedes verlorene Buch. Unersetzlich sind die handschriftlichen Kompositionen von Herzogin Anna Amalia, denn Handschriften sind immer Unikate. Zum Teil existierten aber Mikrofilme der Musikalien, die man heute digital aufrufen kann. Zu den Verlusten, die wir bislang noch nicht ersetzen konnten, zählt ein Buch aus dem Umkreis der Fruchtbringenden Gesellschaft: Es handelt sich um die zeitgenössische Liedersammlung Die Geharnschte Venus oder Liebes-Lieder im Kriege gedichtet mit neuen Gesang-Weisen zu singen und zu spielen gesezzet, die der Sprachforscher und Jurist Kaspar von Stieler 1660 veröffentlichte und die nur in wenigen Exemplaren überliefert ist. Stieler war zwischen 1680 und 1685 als Sekretär im Fürstentum Weimar angestellt, sein Buch stieß besonders im 18. Jahrhundert bei Autoren wie Gottsched, Lessing oder Herder auf großes Interesse.

Was genau ist das Ziel des „Future Memory“-Projekts und wer kann sich beteiligen – auch über die Bevölkerung Weimars hinaus?

Mit unserem Projekt möchten wir Zeitzeugen einladen, ihre Erinnerungen und ihre Vorstellungen von der Zukunft der Bibliothek mit uns zu teilen. Dazu bieten wir regelmäßige Interview-Termine an. Auch eigene Aufnahmen oder schriftliche Erinnerungen sind willkommen, man muss also nicht vor Ort in Weimar sein. Natürlich liegt ein Schwerpunkt auf Erinnerungen an den Brand, aber uns interessieren auch andere Geschichten und Bezüge zur Bibliothek. Vielleicht haben Sie einen Lieblingsplatz in der Bibliothek, von dem Sie uns erzählen möchten? Wir freuen uns zudem über Bildmaterial und Fundstücke. Wir haben beispielsweise schon erste Zusendungen von Buchseiten erhalten, die nach dem Brand in Weimarer Gärten gefunden wurden. Alle Erinnerungen und Objekte werden wir in unsere Sammlungen aufnehmen und über unseren Katalog zugänglich machen. Das Zeitzeugen-Projekt ist Teil einer neu akzentuierten Strategie der Bibliothek, mit der fachliche Initiativen zu Projekten der Sammlungserschließung und des Originalerhalts bis 2028 unter dem Namen „Future Memory“ zusammengefasst werden.

Der Name verweist auf „zukünftiges Erinnern“. Welche Lehren können sich für künftige Generationen aus dem Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek ergeben? 

Der Brand von 2004 hat die Funktion der Bibliothek und ihr Selbstverständnis auf den Prüfstand gestellt. Die Brandkatastrophe führte vor Augen – medial weltweit verbreitet – wie fragil die kulturelle Überlieferung ist und was die Übernahme von Verantwortung für Originalerhalt bedeutet. Im Rückblick zeigt sich aber auch, was sich durch den Brand positiv verändert hat: Neue Vorsorgemaßnahmen in Kultureinrichtungen wurden eingeführt, weit über Weimar hinaus. Und die innovativen, in Weimar entwickelten Techniken zur Rettung schwer geschädigter Materialien führen in die Zukunft.

Haben Sie vielen Dank für die Eindrücke, Frau Spinner.

Weitere Informationen sowie Termine zur Aufzeichnung der Zeitzeugen-Videointerviews im Studienzentrum der Herzogin Anna Amalia Bibliothek finden sich auf der Website der Klassik Stiftung Weimar zum Projekt Future Memory.

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