(Wieder-)Gekommen, um zu bleiben
Zu ihren Auftraggebern zählen globale Entertainment-Riesen wie Marvel, Disney oder Netflix: Die gebürtige Erfurterin Pauline Voß hat es von Thüringen in die internationale Kreativszene geschafft. Ihre Heimatregion möchte sie künstlerisch mitentwickeln.
von Frank Kaltofen
(Bildrechte: Pauline Voß)
Pauline Voß steht an diesem Abend im „Kurhaus Simone“ unweit der Erfurter Krämerbrücke und strahlt. Zur Ausstellungseröffnung sind viele Freunde und Bekannte gekommen. Auch ihre Eltern sind da, die sie stolz den drei befreundeten Künstlerinnen vorstellt, mit denen sie dieses Kunstevent gemeinsam auf die Beine gestellt hat.
Ihren Lebensunterhalt verdient Pauline allerdings nicht mit Ausstellungen oder der Malerei auf Leinwand, sondern als Illustratorin und Concept Artist für internationale Auftraggeber. Seit Jahren fertigt sie unter dem Künstlernamen Skadivore digitale Illustrationen für verschiedene Projekte: Für Videospiele und Animationsserien hat sie Artwork für Charaktere, Umgebungen und Requisiten entworfen; unter anderem die weltweit bekannten Magic: The Gathering-Sammelkarten tragen von ihr kreiertes Artwork.
Fragt man die gebürtige Erfurterin nach ihrem künstlerischen Werdegang, wird man zunächst wenig überrascht: ein vielseitig interessiertes Kind in einem Familienumfeld mit eher technisch orientierten Berufen; die Eltern fördern aber von früh auf das künstlerische Talent der Tochter.
Später entscheidet sich Pauline bewusst gegen einen Wechsel auf ein Spezialgymnasium mit Kunst-Schwerpunkt: „Mich haben auch so viele andere Dinge interessiert“, erinnert sie sich heute. Zugleich habe sie sich aber auch nicht getraut, für ihre Zukunft voll und ganz auf das Künstlerische zu setzen. „Auch nach dem Abitur war für mich deshalb gar nicht vorgezeichnet, dass es unbedingt in eine künstlerische Richtung gehen muss“, sagt sie rückblickend, „ich hatte zum Beispiel auch eine Zulassung für ein Chemie-Studium an der TU Dresden“.
Kreative Weiterentwicklung in Berlin
Trotz vieler Zweifel und einer gewissen „Angst vor dem Commitment zur Kunst“, wie sie sagt, geht es dann aber doch in die kreative Richtung: 2009 startet an der HTW Berlin der damals erste staatliche Studiengang für Game-Design, Pauline gehört dem ersten Jahrgang dieses Bachelor-Studiengangs an.
Es beginnt eine sehr experimentelle Zeit mit neuen Themen, 3D-Modelling und Informatik, Psychologie und Programmieren. Dort entdeckte sie dann auch die digitale Kunst für sich: „Bei meinem Kommilitonen Max Heyder konnte ich damals das erste Mal ein Grafik-Tablet ausprobieren, bei dem man direkt auf dem Bildschirm gemalt hat – das war alles ganz neu und aufregend“, erinnert sich Pauline. Heute hat sie täglich mit diesem Arbeitsgerät zu tun, während ihr damaliger Kommilitonen inzwischen als freiberuflicher Game Artist und Art Director in der Videospiel-Branche erfolgreich ist.
Mehr Kunst von Pauline Voß alias Skadivore gibt es auf Instagram.
Nach dem erfolgreichen Bachelor-Abschluss will sie zügig praktische Erfahrung sammeln – ein Muss für alle, die in der Digitalbranche einen Fuß in die Tür bekommen wollen. „Ich habe bestimmt 200 Bewerbungen rausgeschickt“, verrät Pauline, „und habe dann bei einem Start-up in Berlin als 3D-Generalistin angefangen.“ Sie bearbeitet also eine breite Palette an Aufgaben, von der digitalen Modellierung der Charaktere und Objekte über das Hinzufügen von Farben und Mustern als Oberflächendetails bis zum Gestalten realistischer Licht- und Schatteneffekte. „Das war schon nahe an dem, was ich heute beruflich mache. Vor allem war es aber ein Sprungbrett durch den Support und Zuspruch, den mir mein damaliger Teamleiter Stephan Sacher immer wieder gegeben hat – auch wenn ich mal bei einem Wettbewerb mitgemacht oder ein Event besucht habe“, erinnert sie sich. „Dafür bin ich bis heute noch dankbar.“
Sprung ins kalte Wasser Selbstständigkeit
Das Sprungbrett führt Pauline direkt in unbekannte Gewässer: Als das Start-up pleitegeht, wagt sie sich in die künstlerische Selbstständigkeit. Ein Gründungszuschuss der Agentur für Arbeit macht es möglich. Mit etwas Glück wurde Pauline in die Künstlersozialkasse aufgenommen, die Kreativen Zugang zur gesetzlichen Sozialversicherung ermöglicht. „Das war eine enorme Erleichterung für mich als Freiberufliche“, sagt sie rückblickend.
Parallel zu ihrer Arbeit besucht sie weiter internationale Workshops und Konferenzen der Branche: die „Lightbox Expo“ in Kalifornien oder Events des „Playgrounds“-Netzwerks in den Niederlanden, mit Vorträgen renommierter Kreativschaffender aus der Gaming- und Filmindustrie. Hier gibt sich das Personal von Branchenriesen wie Pixar oder Epic Games die Ehre. „Auf diesen Events trifft man genau die Menschen, die einen voranbringen, konzentriert auf einem Fleck. Ich konnte echte Koryphäen aus der Design- und Concept-Art-Szene kennenlernen.“ Das habe sie als ungemein inspirierend erlebt – „und auch als motivierend: Was die da machen, ich kann das auch! Ich schaffe das!“
Aus dieser internationalen Vernetzung ergeben sich immer mehr Kontakte – und daraus wiederum zahlreiche Aufträge für Illustrationen. Paulines Kundschaft kommt inzwischen aus Großbritannien, Australien und den USA. „Wenn man einmal einen Fuß in der Tür hat, geht es ganz schnell“, erklärt sie, Mund-Propaganda und Wer-kennt-wen sind in der Szene enorm wichtig. „Das Zwischenmenschliche macht sehr viel aus, es entstehen Sympathien und sogar Freundschaften. Oft wird man für neue Projekte angefragt, noch während man zusammen an etwas Anderem arbeitet.“
Bye bye, Berlin – zurück in Erfurt
Nach fast einem Jahrzehnt in der Hauptstadt hat Pauline allerdings genug von der quirligen Kreativ-Metropole: „Ich mag Berlin sehr gern und habe dort unglaublich viele tolle, inspirierende Menschen kennengelernt. Aber man muss aufpassen, dass diese Stadt dich nicht verschluckt und unverdaut wieder ausspuckt“, reflektiert die Künstlerin die Entscheidung. Die Umstände führen Pauline zurück nach Erfurt, ins elterliche Eigenheim. 2018 ist das – „geplant eigentlich nur als Zwischenstopp“, schmunzelt sie rückblickend. Vom heimischen Thüringen aus reist sie viel, immer mit Kunst-Bezug, zum Beispiel nach Italien auf den Spuren der Alten Meister. „Das war noch mal so eine richtige Selbstfindungsphase“, erinnert sich Pauline an diese reiseintensive Zeit, „ich hatte so viele Möglichkeiten, ich hätte überall wohnen können.“
Sie zeigt ihre Kunst bei einer Ausstellung in Los Angeles 2019, sogar ein Job-Angebot in Kalifornien winkt.
Dann aber führt ein Tinder-Date in Erfurt, kurz vor der Covid-Pandemie, zu einer neuen Beziehung – und inzwischen auch zu einem gemeinsamen Kind. Eine neue, irgendwie auch unerwartete Bindung an die Heimat-Region.
„Ich bin sehr gerne in Erfurt, hier gibt es so viele andere Kreative“, schwärmt Pauline, die sich seit Ende der Pandemie ganz bewusst in der kreativen Szene der Region engagiert. Inzwischen teilt sie sich ein Atelier mit der befreundeten Künstlerin Kathi Böttcher, in den Räumen des früheren Psychatrietrakts auf dem Gelände der Helios-Klinik in Erfurt, bereitgestellt durch den gemeinnützigen Verein Wächterhaus Erfurt. „Es war wie eine schnelle Kettenreaktion, ich lerne so viele Leute kennen.“
„Ich möchte mit meiner Kunst emotional bewegen, Menschen verbinden – auch vor Ort und in der Region.“
Im März nun hat sie die eingangs erwähnte Ausstellung eröffnet, gemeinsam mit drei befreundeten Künstlerinnen aus der Landeshauptstadt. Für die gehängten Kunstwerke im „Kurhaus Simone“ ist Pauline von der digitalen Illustration wieder zurück zu Leinwand mit Öl- und Pastellfarben gewechselt. „Ich kann mit dieser Malerei nicht meinen Lebensunterhalt bestreiten, sondern mache das eher aus der Überzeugung: Ich möchte mit meiner Kunst präsent sein, emotional bewegen, Menschen verbinden – auch vor Ort und in der Region“, erklärt sie. Finanzierung für Kunstschaffende sei auf regionaler Ebene sehr schwierig, die Förderstrukturen mühselig und bürokratisch.
Haupteinkommensquelle bleibt nach wie vor ihre digitale Kunst, hauptsächlich Auftragsillustrationen und Artwork für den internationalen Markt – sei es für Marvel, für große Gaming-Studios oder seit Neuestem für Disneys bekannte Lorcana-Sammelkarten. „Die meisten meiner Auftraggebenden finden mich über Social Media, aber kommen auch durch persönliche Empfehlungen oder frühere Begegnungen auf Events auf mich zu“, verrät Pauline.
Vor Kurzem erschien zudem ein erstes Artbook mit ausschließlich ihren Kreationen. Als Freiberufliche schätzt sie es, viel Raum für eigene Ideen und spielerisches Experimentieren zu haben.
Ihre Erfahrungen vermittelt Pauline auch Nachwuchs-Kunstschaffenden in der Region – zuletzt beispielsweise bei einem Vortrag mit der Thüringer Agentur für die Kreativwirtschaft (THAK) an der Bauhaus-Universität Weimar. Wege in die kreative Selbstständigkeit – so das Thema der Veranstaltung – können vielfältig sein, dafür ist Pauline das beste Beispiel. Und sie können auch (wieder) in die eigene Heimatstadt oder -region führen, um etwas Positives zu bewirken. Paulines eigener Ansatz? „Hierbleiben. Inspiration und Lebensfreude bringen!“