Die Leipziger Journalistin und Ethnologin Pia Volk spricht im Interview über ihr neues Sachbuch Deutschlands verschwundene Orte.
(Foto: © Jacobia Dahm)
Pia Volk schreibt u.a. für die Wochenzeitung DIE ZEIT und die Süddeutsche Zeitung. 2021 veröffentlichte sie beim Verlag C. H. Beck bereits Deutschlands schrägste Orte. Nun stellt sie in Deutschlands verschwundene Orte insgesamt 30 Stätten und ihre historischen Hintergründe in Verknüpfung mit archäologischer Forschung auf wenigen Seiten vor.
Darunter sind auch sechs Orte in Mitteldeutschland: Aus Sachsen-Anhalt sind neben Jahrsau in der Altmark auch die ehemals preußische Telegrafenstation in Neuwegersleben und das Geiseltal mit einer Flora und Fauna vertreten, die vor rund 45 Millionen Jahren verschwunden ist. Aus Sachsen sind Breunsdorf sowie die Universitätskirche St. Pauli im Herzen von Leipzig dabei, in Thüringen liegt der Grabhügel von Leubingen.
MdM: Wie sind Sie auf die „verschwundenen Orte“ aufmerksam geworden?
PIA VOLK: Ich habe sehr viele Historiker und sehr viele Archäologen gefragt (lacht). Jedes Bundesland verfügt auch über Datenbanken zu archäologischen Stätten und über Forschung, die dort gefördert wird. Durch die habe ich mich gewühlt und dabei die herausgesucht, die ich spannend oder interessant fand und etwas an sich haben, was man vielleicht noch nicht weiß.
Auch Mitteldeutschland ist mehrfach im Buch vertreten. Das Fürstengrab von Leubingen beispielsweise, unweit von Sömmerda, dort führt von einer Raststätte an der A71 ein kurzer Wanderweg direkt zu diesem Hügel. Dieser verschwundene Ort weist durchaus eine große Sichtbarkeit auf...
Sichtbar, ja. Aber wie viele Leute halten an der Raststätte und gucken sich das wirklich an? Und es gibt, soweit ich weiß, keine andere Autobahnraststätte in Deutschland, die ein archäologisches Museum beinhaltet. Die Leserschaft des Buchs kommt aus ganz Deutschland – und das Fürstengrab ist nur im regionalen Raum bekannt, wenn man täglich mit dem Auto daran vorbeifährt. Es gibt aber genügend Menschen in Westdeutschland, die es immer noch nicht in den Osten geschafft haben und denen es nicht bekannt ist. Es ist eine Frage der Perspektive, für wen man schreibt.
Breunsdorf südlich von Leipzig musste dem Braunkohletagebau weichen, das Dorf Jahrsau im äußersten Norden Sachsen-Anhalts stand der damaligen innerdeutschen Grenze im Weg. Stehen beide Orte exemplarisch für andere in der jüngeren Kultur- und Zeitgeschichte?
Auf jeden Fall. Ab dem Mittelalter wurden Orte fast nur noch geplant zerstört. Für das Verschwinden dieser Orte gibt es verschiedene Gründe: politische und wirtschaftliche sind zwei davon. Deshalb war es mir wichtig, das zu erzählen. Einen Ort wie Breunsdorf hätte ich auch Nordrhein-Westfalen finden und das umkehren können. Aber das habe ich nicht getan, weil ich dort die Geschichte der ersten Eisenhütte erzählen wollte.
Gibt es einen der vorgestellten Orte, den Sie besonders spannend fanden oder der Sie besonders berührt hat?
Ich fand den Münzschatz von Görke ganz spannend, weil ich keine Ahnung hatte, dass Münzen aus dem vorderasiatischen Raum in Norddeutschland als Zahlungsmittel genutzt wurden. Wenn man das aufdeckt, kommt man ganz schnell zum Anschluss von Nordeuropa an Byzanz, wer dazwischenlag, die Bedeutung des Islams... Da spielt auch Sklavenhandel eine große Rolle. Ich hätte auch ganz gern noch einen Ort mit hineingenommen, der sich damit beschäftigt. Man weiß aber gar nicht, wo sich die Sklavenmärkte befanden, da von ihnen kaum etwas übrigblieb – vielleicht einmal Fußfesseln in einem archäologischen oder historischen „Müllhaufen“. Es gibt zwar darüber Aufzeichnungen, aber keine Verortung – was es schwierig machte. Aber insgesamt hat jeder Ort etwas Spannendes. Es ist zum Beispiel auch interessant, zu kontrastieren, wie die Universitätskirche St. Pauli in Leipzig verschwunden ist im Vergleich zum „Palast der Republik“ in Berlin. Es gab einige Parallelen, obwohl es in zwei unterschiedlichen politischen Systemen stattgefunden hat.
Welche große Erkenntnis haben Sie aus Ihren Recherchen mitgenommen?
Ich habe zwei Dinge mitgenommen: Zum einen, dass Frauen in der Geschichte nicht vorkommen und man muss echt tief graben muss, um an Geschichten über sie oder – noch schwieriger – Kinder zu kommen. Sie tauchen einfach nicht auf, das ist wirklich unglaublich. Deswegen war es mir wichtig, ein paar Orte zu haben, an denen Frauen eine wichtige Rolle gespielt haben. Klar, wir leben in einer männlich geprägten Gesellschaft – aber mir war nicht klar, wie stark sich das in der Geschichte und Archäologie widerspiegelt. Das fand ich erstaunlich. Besonders die Perspektive auf Heldenverehrung ist eine sehr männliche. Wenn die Männer tot sind, dann leiden ja die Frauen, die mit den Kindern zurückbleiben. Und dass es erstaunlich viele Menschen gibt, die sich ehrenamtlich um das historische Erbe ihrer Region bemühen. Diesen Einsatz finde ich beeindruckend.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Lutz Granert.
Pia Volk: Deutschlands verschwundene Orte – Ein Atlas
Mit Illustrationen von Lukas Wossagk
C.H.Beck 2023
Hardcover, 286 Seiten
24 Euro
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