Eine Schwarzweiß-Fotografie von Franz Kafka um 1911 (Foto: wikicommons)

Kafka zu Besuch in Weimar: „Distanz gegenüber Goethe“

Den Namen Franz Kafka verbindet man natürlich vor allem mit Prag, vielleicht noch mit Wien – aber mit Weimar?
 

(links: Franz Kafka um 1911, Foto: wikicommons)

Als Kafka im Sommer 1912 mit seinem Freund Max Brod eine Deutschlandreise unternahm, führte diese für etwas mehr als eine Woche nach Weimar. Am 29. Juni bezogen die beiden ein Appartement im Hotel Chemnitius in der Geleitstraße – unweit vom Grand Hotel Russischer Hof, in dem bekanntlich Goethe zwischenzeitlich Quartier genommen hatte. Bereits in der Nacht des ersten Tages macht sich das reisende Duo auf den Weg zu Goethes Haus am Frauenplan; mehrere Besuche sollten in den nächsten Tagen folgen.

Was suchte der junge Kafka bei Goethe? Wir fragten dazu Steffen Höhne, Professor für Kulturmanagement am Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena und Mitglied der Forschungsstelle Max Brod Jena-Weimar, die sich der wissenschaftlichen Aufbereitung des Nachlasses von Max Brod (1884-1968) widmet. 

MdM: Kafka besuchte in Weimar unter anderem mehrfach Goethes Wohnhaus. Wie war Kafkas Sicht auf und Beziehung zu Goethe? 

STEFFEN HÖHNE: Ja, das war eine der typischen Pilgerreisen zu Goethe, zu der ihn Max Brod überredet hatte und auf die sich Kafka intensiv seit dem Sommer 1911 vorbereitet hatte: „Der mich ganz durchgehende Eifer mit dem ich über Goethe lese“, vermerkt Kafka seine intensive Lektüre im Tagebuch am 31. Januar 1912. Vor Ort beim Goethehaus interessierte sich Kafka allerdings mehr für die Tochter des Hausmeisters. Der etwas frustrierte Brod notierte am gleichen Tag lakonisch, gleichwohl etwas ironisch – vielleicht auch enttäuscht: „Kafka kokettiert erfolgreich mit der schönen Tochter des Hausmeisters. Deshalb also hat man sich jahrelang an diesen Ort gewünscht.“ (Brod/ Kafka 226) Insgesamt stand Kafka Goethe sehr distanziert gegenüber, was sein Aufenthalt in Weimar auch zeigte. 

Wie lässt sich dieses distanzierte Verhältnis beschreiben? 

Diese Distanz gegenüber Goethe wird bei Kafka öfter deutlich: „Goethes schöne Silhouette in ganzer Gestalt. Nebeneindruck des Widerlichen beim Anblick dieses vollkommenen menschlichen Körpers, da ein Übersteigen dieser Stufe außerhalb der Vorstellbarkeit ist und diese Stufe doch nur zusammengesetzt und zufällig aussieht. Die aufrechte Haltung, die hängenden Arme, der schmale Hals, die Kniebeugung“, notierte Kafka am 5. Februar 1912 in sein Tagebuch; „Goethe: Meine Lust am Hervorbringen war grenzenlos.“, am 8. Februar.

Und das liest ein Autor, der extrem skrupulös war, was seine eigenen Texte angeht. Kafkas Distanz lässt sich aber auf einer weiteren Ebene verorten: Wir finden auf der einen Seite das ‚starke‘ Argument der Weltliteratur, auf der anderen das der minoritären jiddischen Literatur. In dieser Dichotomie spiegeln sich Faszination und Respekt gegenüber Goethe, die sich in Abwehr gegenüber damit verbundener „Einschüchterung und Lähmung“ wandelt, die sich als Hemmkraft des Goethe‘schen Werks äußert: „Goethe hält durch die Macht seiner Werke die Entwicklung der deutschen Sprache wahrscheinlich zurück“, heißt es in Kafkas Tagebuch vom 25. Dezember 1911. Dieser stellt Kafka die performative jiddische Literatur und das Konzept der kleinen Literaturen entgegen, somit das Konzept einer „minoritären Poetik“ in der Folge der Bekanntschaft mit Jizchak Löwy 1910, der 1911 der Essay über Goethes entsetzliches Wesen folgen sollte.

Noch verstärkt durch den Weimar-Besuch avanciert Goethe zu einem Antipoden mit eher unheilvollem Einfluss, dessen Kreativität konträr zu den Schreibblockaden Kafkas steht. „Goethe“, heißt es schon im Tagebuch am 31. Januar 1912, „der mich von jedem Schreiben abhält.“ Und zuvor wird vermerkt: „Ich glaube, diese Woche ganz und gar von Goethe beeinflußt gewesen zu sein, die Kraft dieses Einflusses eben erschöpft zu haben und daher nutzlos geworden zu sein“, notiert Kafka am 7. Januar 1912. Der erwähnte „Plan eines Aufsatzes Goethes entsetzliches Wesen“ wurde von Kafka allerdings nicht umgesetzt.

In die Zeit des Weimar-Aufenthalts fiel auch Kafkas 29. Geburtstag am 3. Juli. Wie dürfen wir uns den dann 29-jährigen Kafka vorstellen? 

Eigentlich als jemand, der noch weitgehend unbekannt war, der gewissermaßen am Anfang seiner literarischen Laufbahn stand, an die er ohnehin – anders als Brod – nicht recht glaubte.

Gab es auch signifikante Zusammentreffen mit anderen Literaten während dieser Sommertage in Weimar? 

Literarische Begegnungen wie das Treffen mit Kurt Hiller und dessen Mutter am 4. Juli; der Besuch von Schloss Belvedere am Nachmittag des 5. Juli – mit Max Brod, Hiller und dessen Mutter; der Besuch mit Brod bei Paul Ernst am selben Abend sowie der Spaziergang mit Paul Ernst am 6. Juli, abends der Besuch von Johannes Schlaf werden nur kurz im Tagebuch notiert, kaum kommentiert. Man wird den Eindruck nicht los, für Kafka handele es sich eher um ein lästiges Pflichtprogramm, zumindest wird für den Hiller-Besuch am 4. Juli im Tagebuch vermerkt: „Abend Hiller mit seiner Mutter. – Ich laufe vom Tisch weg, weil ich sie zu sehen glaubte. Täuschung. Dann alle vors Goethehaus. Sie gegrüßt.“ Er wollte eben lieber zu Margarete Kirchner, besagter Tochter des Hausmeisters am Frauenplan, die ihn dann doch abblitzen ließ. Ich müsste hier noch weiter recherchieren, um mehr sagen zu können.

„Die Weimarer Reise war auch insofern bedeutsam, als sie uns über Leipzig führte“, schreibt Kafkas Reisebegleiter und Freund Max Brod in seiner Rückschau – dort wurde Kafka auch seinem späteren Verleger Kurt Wolff vorgestellt. Kann man sagen, der kurze Abstecher in die mitteldeutsche Region hatte nachhaltigen Einfluss auf Kafkas literarische Karriere? 

Ja, weil Kafka seine ersten Texte publizieren konnte – allerdings war Wolff aus diversen Gründen nicht der richtige Verleger für Kafka, zumal er seine Texte in einer expressionistischen Reihe veröffentlichte, wohin die Texte Kafkas nun gar nicht passen.

Vielen Dank für die Eindrücke, Herr Professor Höhne.

Die Fragen stellte Frank Kaltofen.

 

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