Ein historisches Schwarzweiß-Foto zeigt eine Menschenmenge auf dem Magdeburger Domplatz am 22. Februar 1925, bei dem ersten Jahrestag der Gründungsfeier für das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold.

Die wehrhafte Demokratie

Der Vergleich zu den „Weimarer Verhältnissen“ ist schnell bei der Hand, wenn es um den derzeitigen Zustand des demokratischen Gemeinwesens geht. Es lohnt ein Blick zurück auf die Zeit der Weimarer Republik. Nicht von ungefähr wurde das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold im Februar 1924 aus-gerechnet in Magdeburg gegründet.
 

von Maik Hattenhorst

 

links: Erster Jahrestag der Gründungsfeier am 22. Februar 1925 auf dem Magdeburger Domplatz. (Foto: R. Hatzold / Public domain, via Wikimedia Commons)

Gegenwärtig wird oftmals eine tiefgehende gesellschaftliche Polarisierung diagnostiziert, wobei sich die unterschiedlichen Positionen zunehmend unversöhnlich gegenüberzustehen scheinen. Medial ist lautstark zu vernehmen, dass man den Verfahren einer parlamentarisch verfassten Demokratie nur noch geringe Lösungskompetenz zuzuschreiben mag. 

Vor einhundert Jahren waren Zweifel daran, ob die erste demokratische Ordnung auf deutschem Boden Bestand haben würde, allemal berechtigt, blickte man doch auf Jahre politischer Gewalt und hochverräterische Staatsstreichversuche zurück – den Märzaufstand in Mitteldeutschland, den Kapp- und den Hitler-Putsch etwa. 1923 brachte zudem den Schock einer Hyperinflation und beraubte viele ihrer Sympathien für die junge Republik. 

Gemeinhin wird die Gründung des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold vor 100 Jahren in Magdeburg daher auch als aktive Gegenwehr überzeugter Demokraten und entschiedener Verteidiger der Weimarer Republik verstanden, um eine Massenorganisation zum Schutz vor radikalen Gegnern zur Verfügung zu haben. Die Gründung steht zugleich am Beginn der im Rückblick so bezeichneten Konsolidierungsphase der Weimarer Republik, nach einer Phase wiederholter existentieller Bedrohungen in den Anfängen.

Magdeburg – Stadt der Gegensätze

Das Reichsbanner ist als republikanische Massenorganisation lange Zeit nahezu in Vergessenheit geraten und Ähnliches lässt sich parallel dazu auch von der demokratischen, auf Ausgleich gerichteten Politik der 1920er Jahre in Magdeburg sagen. Dabei sind hier positive Anknüpfungspunkte für die Gegenwart der sachsen-anhaltinischen Landeshauptstadt zu finden – eine Gegenwart, in der Rechtsextremisten eine der großen Fraktionen im Stadtrat stellen.

In kaum einer anderen Großstadt prallten die gesellschaftlichen Gegensätze damals tatsächlich so sehr aufeinander wie in Magdeburg: Die 300.000 Einwohner zählende Industrie- und Handelsstadt, an einem Verkehrsknotenpunkt in der Mitte des Reiches gelegen, wies sowohl eine starke Arbeiterschaft als auch alteingesessene national-konservative Kreise mit entschieden protestantischer Ausrichtung auf und beherbergte zugleich als Hauptstadt der preußischen Provinz Sachsen zentrale Herrschafts- und Verwaltungsinstitutionen; hierzu zählten nicht zuletzt die auch in Friedenszeiten in Magdeburg untergebrachten militärischen Einheiten des 4. Preußischen Armeekorps.

„Gemeinhin wird die Gründung des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold vor 100 Jahren in Magdeburg als aktive Gegenwehr überzeugter Demokraten und entschiedener Verteidiger der Weimarer Republik verstanden.“

Gleich 1918, die Truppen des geschlagenen Hohenzollernreiches waren noch nicht vollständig demobilisiert, wird der „Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten“ in der militärisch traditionsreichen ehemaligen Festungsstadt durch den Magdeburger Unternehmer und Kriegsveteranen Franz Seldte gegründet. Der paramilitärisch organisiert auftretende Veteranenverband erlangt bald reichsweit Bedeutung, wenn auch zunehmend von Berlin aus; Seldte schafft es 1933 sogar als Arbeitsminister in Hitlers Kabinett.

Just in der Elbestadt aber wurde nun am 22. Februar 1924 das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Bund der republikanischen Kriegsteilnehmer“ ins Leben gerufen, allen voran auf Initiative des sozialdemokratischen Oberpräsidenten der preußischen Provinz Sachsen als dem höchsten Verwaltungsbeamten, Otto Hörsing, und des Journalisten und späteren SPD-Reichstagsabgeordneten Karl Höltermann. Beide in Magdeburg ansässigen Sozialdemokraten waren zugleich auch nacheinander die Bundesvorsitzenden des Reichsbanners bis zur Machtergreifung. Insgesamt war der Verband zu nahezu 90 Prozent von SPD-Mitgliedern geprägt.

Überparteilich und überregional

Die Herausforderung an das bürgerlich-nationale Lager der Stadt untermauerte der Ort der ersten Massenkundgebungen im Jahr 1925: im Zentrum der Stadt, auf dem machtsymbolisch in höchstem Maße aufgeladenen Domplatz, wo sich zuvor bereits die Kolonnen des „Stahlhelms“ anlässlich ihrer „Bundestage“ – den reichsweiten Zusammenkünften – eingefunden hatten, deren Anhänger allerdings der Republik zum Trotz mit den Farben Schwarz-Weiß-Rot ihrer immer noch vorhandenen Loyalität zur untergegangenen Monarchie Ausdruck verliehen. Und es hatte bereits Vorläufer gegeben: Vorausgegangen war die „Republikanische Notwehr“ als allein sozialdemokratische paramilitärische Schutzformation. Im Gegensatz zum späteren Reichsbanner trat sie nicht überparteilich auf und ihr Wirken blieb auf die preußische Provinz Sachsen beschränkt.

Karl Höltermann erinnerte sich an Überlegungen aus dem Jahr 1921 so: „Es wurden viele Vorschläge gemacht und wieder verworfen. Allzu kühn erschien das Unterfangen, eine eigene Machtorganisation der Arbeiterschaft zu bilden, und diese dort einzusetzen, wo die schwankende Staatsgewalt versagte oder zu versagen drohte“ – Höltermann hatte dabei Umsturzversuche wie den Ruhraufstand und den Kapp-Putsch 1920 im Sinn.

Magdeburg – Stadt des demokratischen Kompromisses

Die kommunale Politik gerade in Magdeburg kennzeichnete eine auf Ausgleich und Kompromissfindung ausgerichtete Linie, die vom ab 1919 amtierenden SPD-Oberbürgermeister Hermann Beims konsequent verfolgt wurde. Die „Rote Stadt im roten Land“, wie die Sozialdemokratie die Provinzialhauptstadt selbstbewusst zum reichsweiten Parteitag 1931 nach der Fertigstellung der neuen Stadthalle präsentierte, war sicherlich geradezu naturgemäß ein geeigneter Ort zur Etablierung des Reichsbanners. Sein Bundeshaus hatte gleich neben dem altehrwürdigen Kloster Unser Lieben Frauen im Herzen der Stadt Platz gefunden und während der gesamten Zeit der Weimarer Republik saßen Sozialdemokraten an der Spitze des Rathauses; gleichwohl berücksichtigte die SPD auch die Ansprüche der bürgerlichen Schicht, da sie Mehrheiten im Verein mit der DDP und der katholischen Minderheit suchen musste – also in der Konstellation einer klassischen Weimarer Koalition.

Seine architektonisch bedeutendste Ausprägung in Magdeburg aber fand das Reichsbanner mit der Anlage des 1930 festlich eröffneten Stadions Neue Welt, dessen Gelände vom Reichsbanner erworben und dessen Bau vom Schutzverband selbst finanziert wurde. Auf dem weitläufigen Gelände am nordöstlichen Stadtrand entstand zum einen eine Sport- und Freizeitstätte mit Schwimmbad und zum anderen eine Bundesschule zur Unterrichtung von Reichsbanner-Funktionären. Als die politische Gewalt zunahm, richtete man auch eine sogenannte Wehrsportschule ein, in der die „Schutzformation“ (Schufo) für den Kampf gegen andere paramilitärisch organisierte Zusammenschlüsse wie die nationalsozialistische SA trainierte. Gleichzeitig fanden dort Wettkämpfe zumeist nach den Prinzipien der Arbeitersportbewegung unter Verzicht auf den professionellen Wettkampfbetrieb statt. 

Das Stadion und das Gelände gingen im Zuge der politischen Verfolgung und des Terrors mit der „Machtübernahme“ verloren. Im Sommer 1933 diente das Areal bereits den neuen Machthabern als Gefangenenlager für politische Häftlinge.

„Die kommunale Politik gerade in Magdeburg kennzeichnete eine auf Ausgleich und Kompromissfindung ausgerichtete Linie.“

Am Ende machtlos?

Der Gegensatz zwischen einem mit Pathos vorgetragenen kämpferischen Anspruch auf die Verteidigung der Republik und der trotz eigener Uniformen biederen Realität des Reichsbanners erscheint mit Blick auf die eher gemäßigte reformorientierte Tradition der Magdeburger Sozialdemokratie nur folgerichtig. Allenfalls die Jugendorganisationen des Reichsbanners stellten 1932 nach dem „Preußenschlag“ gegen die Regierung Braun/Severing eine bewaffnete Gegenwehr in Erwägung. Als Hitler 1932 jedoch Magdeburg im Wahlkampf aufsuchte und auch hier im Prestigeobjekt Stadthalle 5.000 Zuhörer fand, scheiterte ein Anschlag auf den NSDAP-Chef, initiiert von dem führenden Magdeburger Reichsbanner-Vertreter Ernst Wille, der 1944 im KZ Neuengamme ermordet wird. Zeitzeugenberichten zufolge waren Informationen verspätet weitergegeben worden, was zum Misserfolg des Attentats führte. Es sollen allerdings noch Steine geflogen sein, als Hitlers Wagenkolonne passierte – was dessen Wahlkampfrede in der „Roten Stadt“ jedoch nicht verhindert.

Auf dem Gelände des Stadions Neue Welt wurde von der SA später ein „Schutzhaftlager“ („wildes KZ“) für etwa 200 politische Häftlinge vornehmlich aus den Reihen der Arbeiterbewegung eingerichtet. Am 30. Mai 1933 wurden aus dem Polizeigefängnis die ersten Häftlinge hierher verlegt und in primitiven Baracken untergebracht. Anfang August 1933 wurde das Lager aufgelöst. Seine Insassen verbrachte man in das KZ Schloss Lichtenburg, im heutigen Landkreis Wittenberg. Hier fanden sich im Sommer 1933 viele derjenigen ein, die die Gründungsstadt des Reichsbanners politisch im Sinne der Sozialdemokratie mitgeprägt hatten, nun zu den Gegnern des NS-Regimes zählten und Repressionen erlitten. 

Rund eintausend Reichsbanner-Leute gingen während der NS-Zeit in den Untergrund und in den Widerstand, unter ihnen etwa Theodor Haubach, nach dem 20. Juli 1944 vor dem Volksgerichtshof angeklagt und 1945 in Plötzensee hingerichtet, oder der Magdeburger Ernst Wille, der nach Jahren als Häftling in Buchenwald schließlich im Konzentrationslager Neuengamme vor Erschöpfung den Tod fand. Wille war von 1924 bis 1933 Leiter des Gaus Magdeburg-Anhalt des Reichsbanners gewesen und wurde später mehrfach wegen des Attentatsversuchs von 1932 denunziert.

Maik Hattenhorst ist studierter Historiker und arbeitet für die Stadtbibliothek Magdeburg. Er ist unter anderem Autor des Buches Magdeburg 1933: Eine rote Stadt wird braun (Mitteldeutscher Verlag 2010).

 

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