Gruppenfoto des vierköpfigen Vorstandes des European Center of Just Transition Research and Impact-Driven Transfer

„In der Region, für die Region“

Das „European Center of Just Transition Research and Impact-Driven Transfer“ (kurz JTC) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg will forschungsbasierte und praxisorientierte Lösungen für die Herausforderungen des Strukturwandels im Mitteldeutschen Braunkohlerevier entwickeln. Wie können diese Lösungen aussehen? Im Interview geben drei der Vorstandsmitglieder einen Ausblick. 


(Foto: Uni Halle / Anna Kolata)

MdM: Die erste Frage ergibt sich direkt aus dem Namen des JTC – was kennzeichnet den angestrebten „gerechten“ Wandel im Mitteldeutschen Revier? 

TIETJE: ‚Just Transition‘ ist ein Begriff aus den 1970er Jahren. Er wurde von Unternehmen und Gewerkschaften geprägt, die von der Regierung einen „gerechten Übergang“ mit Staatshilfen für ihre Belegschaften forderten, nachdem aufgrund strengerer Umweltauflagen Werksschließungen und Entlassungen drohten. Die EU hat diese Idee übernommen und mit dem Just Transition Fund ein Instrument geschaffen, mit dem europaweit Industrieregionen im Umbruch unterstützt werden. Im Mitteldeutschen Revier umfasst dies nicht nur die Frage nach Arbeitsplätzen und Umschulungen für Belegschaften der Braunkohle- und von Braunkohle abhängigen Industrien, sondern auch die generelle Neuausrichtung der Region auf Kreislaufwirtschaft, Klimaneutralität, Zentrum der Wissenschaft und Fachkräftesicherung. „Gerecht“ bedeutet in diesem Kontext auch, dass die Ziele der sozialen Gerechtigkeit und des Umweltschutzes gleichrangig zu behandeln sind.

Wie kann dabei dann die Einbeziehung nicht nur von Forschungseinrichtungen und Unternehmen, sondern auch von Akteuren der Zivilgesellschaft oder eine direkte Bürgerbeteiligung aussehen?

EVERTS: Das JTC ist ein Projekt, das die Kooperationsmöglichkeiten zwischen Martin-Luther-Universität (MLU) und der Region systematisch weiterdenkt und erschließt. Kooperationspartner sind Kommunen und Verwaltungen, Unternehmen sowie zivilgesellschaftliche Vereine und Verbände. Der Aufbau der Kooperationen ist zentraler Bestandteil der Projektziele. Die Zusammenarbeit hat schon begonnen und die konkrete Umsetzung erfolgt innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre. Dabei kann es auch Kooperationen geben, die eine direkte Beteiligung der Bürger beinhalten. Das JTC ergänzt sich hier mit weiteren Projekten, die auf Bürgerbeteiligung abzielen, beispielsweise die ebenfalls von Halle aus koordinierte „Agentur für Aufbruch“. Im Kern geht es also um „Universität in der Region, für die Region“.

Eine entscheidende Rolle soll den so genannten „Transfer-Lotsen“ zukommen. Welche Aufgaben übernehmen sie konkret?

EVERTS: Die „Transfer-Lotsen“, im Projekt auch Revierscouts genannt, haben mehrere zentrale Aufgaben. Sie sind die Schnittstelle der Region zum JTC und damit auch zur Universität. Es gibt vier Scouts, die für die vier Landkreise im Strukturwandel – Mansfeld-Südharz, Burgenlandkreis, Saalekreis, Anhalt-Bitterfeld – und für die Stadt Halle zuständig sind. Drei von ihnen haben auch ihre Büros in den Landkreisen: in Eisleben, Zeitz und Bitterfeld-Wolfen. Die Revierscouts stellen aktiv die Verbindung her zwischen den 17 Teams im JTC und den Kooperationspartnern in der Region. Sie bauen das Netzwerk mit auf und pflegen es, unter anderem durch regelmäßige Veranstaltungen und Exkursionen. Gleichzeitig sammeln sie Impulse und Bedürfnisse direkt in der Region ein und prüfen mit unseren Teams, welche Themen das JTC aufgreifen könnte und sollte. Damit wird auch sichergestellt, dass das JTC nicht an den Bedarfen der Region „vorbeiforscht“, sondern sich in einem regelmäßigen Austausch die Forschungsthemen passgenau entwickeln. Das ist in dieser Form einzigartig.

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Laut Webauftritt ist die Agenda des JTC darauf ausgelegt „Übermorgen-Fragen zu bearbeiten“. Welche Fragen für das Übermorgen im Mitteldeutschen Revier sind das beispielsweise? 

WEHRSPOHN: Das sind Fragestellungen, die die Bedarfe möglicher Zukünfte im Mitteldeutschen Revier adressieren. Es sind methodisch gesehen Fragen zu Foresight-Transekt-Themen, also Foresight-Themen, runtergebrochen auf die regionalen, endogenen Potentiale des Mitteldeutschen Reviers. Konkret zum Beispiel: Wie kann Humus CO2 speichern? Sachsen-Anhalt ist stark in der Landwirtschaft, aber kann die Landwirtschaft selber auch einen Beitrag zu CO2-Speicherung erbringen? Sachsen-Anhalt ist stark im Bereich der Petrochemie, aber wie können wir mit biogenen CO2-Ressourcen effizient neue Kraftstoffe erzeugen?

Wird das Projekt denn auch Impulse für den Strukturwandel über Sachsen-Anhalt hinaus erarbeiten? 

WEHRSPOHN: Ja, auf jeden Fall. Eines der Teams ist explizit auf die europäische Vernetzung ausgerichtet. Wir möchten mit dem JTC und dem Mitteldeutschen Revier der Hub für die europäische Strukturwandelforschung werden. Über Vernetzung und Tagungen werden wir mit den anderen europäischen „Just Transition Regions“ in den Austausch treten, von unseren Erfahrungen berichten und diese auch in Brüssel vorstellen. Wir sind dafür auch in anderen europäischen Ländern aktiv, vor allem werden wir aber Europa zu uns nach Mitteldeutschland einladen und als geographisches Herz der EU auch das Zentrum der Europäischen Just Transition sein.

Die derzeitige Förderung für das JTC läuft bis 2027 – ein überschaubares Zeitfenster für so eine ambitionierte Agenda. Wie kann es danach weitergehen, um den Wandel langfristig zu begleiten?

TIETJE: Es ist im Moment geplant, dass Projekte aus dem Just Transition Fund auch nach 2027 noch eine Weile finanziert werden können. Ob das für das JTC möglich ist, wissen wir derzeit nicht. Wir nehmen die großzügige Förderung der EU als einen strukturgebenden Impuls auf, mit dem die MLU insgesamt näher an das Revier heranrückt. Die Finanzierung ist ein wichtiger Anschub für die vielen Kooperationen mit unseren Praxispartnern. Die daraus erwachsenden Projekte sollen finanziell über kurz oder lang ihre eigene Finanzierung sicherstellen. Darüber hinaus hoffen wir, dass es nach 2027 die Möglichkeit einer Verstetigung der JTC-Basisstruktur an der MLU sowie der Revierscouts geben könnte, um hier langfristig Erfolge und die Zusammenarbeit mit der Region auf Dauer zu sichern.

Herzlichen Dank für diese Eindrücke.

Die Fragen stellte Frank Kaltofen.

Die Gesprächspartner – der Wirtschaftsrechtler Prof. Dr. Christian Tietje, der Humangeograph Prof. Dr. Jonathan Everts und der Physiker Prof. Dr. Ralf Wehrspohn – bilden gemeinsam mit der Leiterin des Referats Transfer- und Gründungsservice an der MLU, Dr. Susanne Hübner, den JTC-Vorstand.

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