Symbolbild: Ruderboot an einem leeren Strand der Ostsee

Zum 150ten: Thomas, der Thalassophile

Thomas Mann wäre in diesem Jahr 150 Jahre alt geworden. Ein Buch von Volker Weidermann erzählt Manns Leben durch dessen Liebe zum Meer.


von Frank Kaltofen

Die englische Sprache kennt das schöne Wort „thalassophile“ – ein Substantiv, dass eine Person bezeichnet, die das Meer und den Ozean liebt und sich magnetisch davon angezogen fühlt.

Ob das deutsche Pendant „Thalassophiler“ zum immensen Sprachschatz Thomas Manns gehörte, lässt sich an dieser Stelle allenfalls mutmaßen. Wenn ja, dann hätte er es sicherlich für sich selbst verwendet. Davon kann man nach der Lektüre von Volker Weidermanns Mann vom Meer überzeugt sein. 

Weidermann ist Literaturkritiker, Journalist und Fernsehmoderator, war von 2015 bis 2019 Gastgeber des Literarischen Quartetts im ZDF. In seinem Buch schreibt er nicht einfach über Thomas Mann und „das“ Meer, er schreibt immer wieder: „sein Meer“. Die Ostsee. 

Der Begriff Sehnsuchtsort fasst es wohl am besten.

„Das Meer ist der stille Held all seiner Bücher“

Volker Weidermann über Thomas Mann

Wie üblich beginnt Weidermanns Mann-Biografie mit der Kindheit – nicht aber der von Thomas, sondern der seiner jüngsten Tochter, der 1918 geborenen Elisabeth. Weidermann eröffnet mit dem ersten Strandurlaub Elisabeth Manns – Sommerurlaub an der Ostsee. Sein Meer. In ihrem Leben sollte das Meer später auch eine wichtige Rolle spielen, war „für sie Auftrag und Utopie“, wie Weidermann schreibt: Sie wirkte unter anderem als Professorin für Internationales Seerecht in Kanada; seit 2011 trägt auch ein Forschungsschiff des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde ihren Namen.

Davon aber kann in diesen Sommermonaten an der Ostsee im Jahr 1924 noch niemand eine Ahnung gehabt haben. Thomas ringt zu diesem Zeitpunkt noch mit der Vollendung des Zauberbergs. Sein großer Roman wird immer wieder Kristallisationspunkt für diese maritime Biografie sein. Der Literaturnobelpreisträger selbst kommt zu Wort: Das Meer sei „auf irgendeine Weise überall in meinen Büchern gegenwärtig, auch dann, wenn nicht, was oft genug der Fall ist, ausdrücklich davon die Rede ist“.

Vorher gehen wir aber noch weiter zurück: an den Strand von Paraty in Brasilien – Weidermann nennt es den „Urstrand“ – wo Julia da Silva-Bruhns, später verheiratete Mann, ihre Kindertage verbringt. Geboren wird Thomas Manns Mutter, genannt Dodo, in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ihr Vater ist ausgewandert, wohlhabender Plantagenbesitzer, Sklavenhalter. Nachdem Dodos Mutter stirbt, geht es für ihn und die Kinder zurück nach Europa. Das Mädchen kommt übers Meer per Segelschiff. Heiratet mit 17 Jahren einen Herrn, „der sich für sie entschieden hatte“, den zehn Jahre älteren wohlhabenden Konsul in Lübeck, Thomas Johann Heinrich Mann. 

Das Elternhaus von Söhnchen Thomas – und des älteren Heinrich – Mann: hier „der Patriarch, den die ganze Stadtgesellschaft so ehrerbietig grüßte“; die Mutter derweil erzählt dem kleinen Thomas von Palmen und Brüllaffen und vom Aufwachsen am Strand. Mit der Familie geht es für Thomas immer wieder zur Lübecker Bucht der Ostsee, hier sieht Weidermann den „Urgrund seines eines Tages die Welt erobernden Werkes“. 

Mann selbst zitiert er:

„Ich will hoffen, dass ich ihm einigen Dank abgestattet habe, dem Meer meiner Kindheit, der Lübecker Bucht.“

Jahre später geht es für Thomas Mann auf und erstmals über ein Weltmeer: Atlantik-Querung, weg von Europa, in die USA. „From sea to shining sea“ hat Weidermann dieses Kapitel überschrieben, in Anlehnung an die markante Zeile aus America the beautiful. Und tatsächlich wird Mann beide Küsten sein Zuhause nennen: erst Princeton an der Ostküste, später siedelt er nach Kalifornien um, bezieht eine „lichtdurchflutete Bauhausvilla unter Palmen“, wie sein Biograf es fast neidisch umschreibt. Dort unweit des Pazifiks wird Mann auch seinen Doktor Faustus vollenden. 

Mit seiner Mann-Biografie versteht es Weidermann, die literarische Qualität, auch das Pathos, dieser Lebens- und ebenso sehr Familiengeschichte lebendig spürbar zu machen. Dabei sucht der Autor für sein Buch die Themen Strand und Meer, wo er nur kann – und wird auch immer wieder fündig. Wie sehr das eine Sinnstiftung ex post facto ist, die der Autor hier seinem Narrativ nach zurechtbiegt, sei an dieser Stelle dahingestellt. 

Schön liest es sich allemal. Weidermann erzählt wortgewandt, feuilletonistisch, aber nicht abgehoben. Er hat eine Art „Konzept-Biografie“ geschrieben, die man in dieser Art wohl selten finden wird. 

Volker Weidermann:
Mann vom Meer. Thomas Mann und die Liebe seines Lebens
Verlag Kiepenheuer & Witsch
240 Seiten 

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