Ein Foto vom dreiköpfigen Team des Gaming-Studios Inclusive Gaming, vor einer Bücherwand stehend.

Digitale Spiele für alle: Barrierefreiheit im Gaming

Während Filme und Bücher schon lange für Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung verfügbar gemacht werden, hinkt das Medium Videospiel dieser Entwicklung hinterher. Doch es tut sich etwas – auch in Mitteldeutschland: Das Team von Inclusive Gaming aus Leipzig (links) erklärt, wie die Barrierefreiheit von digitalen Spielewelten aussehen kann.

von Christian Barth, Florian Köhler und Stefan Wilhelm

Die Games-Industrie boomt – Videospiele erreichen einen weltweit größeren Umsatz als Bücher und Filme. Auch in Deutschland nimmt die wirtschaftliche Bedeutung der Games-Industrie zu: Laut dem Verband der deutschen Games-Branche gibt es in Deutschland über 30.000 durch Games gesicherte Arbeitsstellen bei über 900 Unternehmen. Über 34 Millionen Deutsche sind Gamer*innen, das heißt, sie spielen zumindest gelegentlich Videospiele. Bei öffentlichen Einrichtungen ist das Thema Games ebenfalls längst angekommen: Schulen nutzen Games als Mittel, um den Kindern spielend Wissen zu vermitteln; Museen nutzen vermehrt Gamification-Elemente, um wissenschaftliche Themen aufzuarbeiten und spannend zu präsentieren.

Das Medium Games fasziniert Menschen aus allen Alters- und Gesellschaftsgruppen; es ist längst kein „Außenseiterthema“ mehr. Dennoch haben nicht alle den gleichen Zugang zu Videospielen und digitalen Anwendungen: Für Menschen mit Behinderung sind Games oft schwierig bis unmöglich zu bedienen oder zu erfassen. Eine Gruppe, die es ganz besonders trifft, sind blinde und sehbehinderte Menschen, denn Games sind zumeist sehr visuell geprägt, die wichtigsten Informationen werden oftmals nur über die Videospur vermittelt. 

Eine Sehbehinderung kann viele Facetten haben: Während sich bei Grauem Star die komplette Sicht trübt, ist eine Diabetische Retinopathie beispielsweise durch Gesichtsfeldausfälle geprägt. Von Blindheit spricht man in Deutschland ab zwei Prozent Restsicht trotz Sehhilfe – es kann also sein, dass die als blind geltende Person noch einen kleinen Sehrest hat.

Vom Beiwerk zum Must-Have: Audio-Tools helfen blinden Gamer*innen

In Deutschland leben zwischen 500.000 und 1,2 Millionen Menschen, die blind oder sehbehindert sind. Wie kann man ein Spiel für diese Gruppe zugänglich machen, wenn die visuelle Ausgabe nicht ausreicht? 

Die naheliegendste Lösung ist das Audio-Feedback: Was bei regulären Spielen oft „Beiwerk“ ist oder hauptsächlich der Verstärkung der Immersion dient, rückt dadurch in den Fokus. Auditive Hinweise werden im virtuellen Raum platziert und helfen Spieler*innen, sich zu orientieren und das nächste Ziel anzusteuern. Dabei werden allerlei kreative Methoden angewandt, wie etwa Echosysteme, Sonare und Begleitcharaktere, die Spielerinnen und Spieler durch das Level führen. Wichtig ist es außerdem, Tools mit einzubeziehen, die von blinden Menschen sowieso genutzt werden. Ein solches ist der Screenreader, der den Bildschirmtext auditiv wiedergibt. „Der Screenreader ist eine der wichtigsten Kernkomponenten, wenn es darum geht, als blinder Mensch einen Computer zu bedienen“, sagt unser Consultant Richard Emling, der selbst blind ist und in der 2of1 GbR Menschen in Bezug auf Blinden- und Sehbehindertenhilfsmittel berät.

Reine Audio-Games finden vor allem bei Communities von vollblinden Gamer*innen Beachtung, können aber auch ein spannendes Erlebnis für sehende Menschen sein, da es eine ungewohnte Erfahrung ist, sich komplett auf einen anderen Sinn als das Sehen zu verlassen. Für Menschen mit Restsicht bauen einige Entwickler*innen außerdem Kontrastmodi ein, die wichtige Charaktere und Objekte im Spiel mit flächigen, kontrastreichen Farben hervorheben, sowie Modi für Farbenblindheit und Vergrößerungen von Texten und Elementen.

Screenshots aus dem Spiele-Prototyp „Dinonid“: ohne Filter (links) sowie im Kontrastmodus für Sehbehinderte (rechts)

Spiele-Prototyp „Dinonid“ ohne Filter (links) sowie im Kontrastmodus (rechts)

(Bildrechte: Inclusive Gaming)

Für viele Game-Mechaniken gibt es schon barrierefreie Lösungsansätze. Auch große Akteure der Branche wie Microsoft und Sony bauen mittlerweile in manchen ihrer Spiele Barrierefreiheitsmodi ein und stellen Tools für Entwickler*innen zur Verfügung. Es gibt Beratungsstellen wie Gaming ohne Grenzen in Deutschland und AbleGamers im US-amerikanischen Raum, auf die man zugehen kann. 

Dennoch ist das Thema der sogenannten Accessibility von Videospielen längst noch nicht bei allen Spielen und Entwickler:innen angekommen. Da sie bei der Entwicklung oft nicht mitgedacht wird, muss sich die blinde Community nicht selten selbst behelfen und das Spiel nach der Veröffentlichung mit „Mods“ (Modifikationen, die es zum Beispiel zugänglich für Screenreader machen) versehen – diese machen das Spiel dann oft spielbar, aber nicht so, wie es ursprünglich angedacht war. Wir, das neu gegründete Leipziger Entwicklerstudio Inclusive Gaming, wollen daher auch Aufklärung im Bereich Barrierefreiheit schaffen.

Brücke zwischen Blinden und Sehenden

Viele Entwicklerinnen und Entwickler von Games wissen verständlicherweise gar nicht, wie einfach sich manche Funktionen integrieren lassen, die wiederum sehr vielen Menschen helfen können, ihr Spiel zu genießen.

Mit unserer Arbeit wollen wir mehr Aufmerksamkeit für das Thema schaffen. Darum schreiben wir uns bei Inclusive Gaming die Barrierefreiheit auf die Fahne: Bei unserer ersten richtigen Spielentwicklung legen wir schon zu Entwicklungsbeginn einen starken Fokus auf die Barrierefreiheit für blinde und sehbehinderte Menschen. Es soll aber auch ganz „normal“ für sehende Menschen visuell spielbar sein. Unser Wunsch ist es, nicht nur ein cooles Spiel für blinde und sehbehinderte Menschen zu entwickeln, sondern auch eine Brücke zwischen diesen und sehenden Menschen zu schlagen – es soll allen Spaß machen, alle sollen gemeinsam darüber reden können. Wir freuen uns dabei sehr über die Unterstützung am Standort Leipzig und sind froh, regionale Akteure wie zum Beispiel den Verband Games & XR Mitteldeutschland hinter uns zu haben. Leipzig ist ein innovativer Games-Standort mit großartigen Projekten wie dem R42 und dem monatlichen Gamedev-Meetup, wichtigen Ausbildungsstandorten und dem Gründungszentrum SMILE der Uni Leipzig. Auch zum Thema Barrierefreiheit werden wir bestens beraten durch das hier ansässige Deutsche Zentrum für Barrierefreies Lesen und den örtlichen Blinden- und Sehbehindertenverband.

Erste konkrete Projekte mit Erfolg

In bisherigen Projekten haben wir im Austausch mit der eigenen Community aus blinden und sehbehinderten Spieler*innen wertvolle Erfahrungen gesammelt und auf dem Gebiet der Barrierefreiheit an Mechaniken und Techniken geforscht: Beispielsweise haben wir den Prototypen Dinonid, ein rundenbasiertes PC-Spiel, mit einem Audio- und Kontrastmodus ausgestattet. Mit dem Messeprojekt Dreamtrip-Experience konnten wir zeigen, wie man Räume und Zielobjekte realistisch auditiv erfassbar macht und sehenden Menschen eine Vorstellung davon vermitteln, wie es ist, sich blind zu orientieren. Für die Weihnachtszeit 2023 haben wir zusammen mit der blinden Dagmar Heinze einen barrierefreien Online-Adventskalender mit Katzengeschichten entwickelt, die musikalisch untermalt und vorgelesen wurden. 

„Unser Wunsch ist es, nicht nur ein cooles Spiel für blinde und sehbehinderte Menschen zu entwickeln, sondern auch eine Brücke zwischen diesen und sehenden Menschen zu schlagen.“

Erkenntnisse und Entwicklungen aus der Spieleproduktion lassen sich dabei auch in andere gesellschaftlich relevante Anwendungsbereiche wie E-Learning oder barrierefreie Angebote im öffentlichen Raum übertragen. 

Das Interesse, mehr Barrierefreiheit in die Gaming-Landschaft zu bringen, wächst also bei großen Firmen wie auch bei hochinnovativen Startups. Dennoch ist es noch ein weiter Weg – wichtig ist es, Menschen für das Thema zu sensibilisieren und Berührungspunkte aufzubauen. Um es mit den Worten der blinden Gamerin Jule Fester zu sagen: „Die Implementierung innovativer Spielelemente ermöglicht einen bedeutenden Fortschritt in der Teilhabe von blinden und sehbehinderten Menschen. Wir sind froh, dass das Team von Inclusive Gaming unsere Anforderungen und Bedürfnisse ernst nimmt. Sie leisten damit einen wesentlichen Beitrag zur Überwindung von Barrieren zwischen sehenden und nicht-sehenden Mitgliedern der Gaming-Community.“ 

Es helfen Förderungen von staatlicher Seite und die Bildung starker Netzwerke im Land. Und es hilft immer, ein offenes Ohr für die Mitmenschen zu haben.

Seit 2021 forscht das Leipziger Team von Inclusive Gaming um Christian Barth, Florian Köhler und Stefan Wilhelm bereits an der Idee, barrierefreie Videospiele für blinde und sehbehinderte Menschen zu entwickeln. Nach Erhalt des EXIST-Gründungsstipendiums und des SAB-Technologiegründungsstipendiums konnten sie im Januar 2024 die Inclusive Gaming GmbH gründen. Zuvor setzte sich das Team bereits im Ideenwettbewerb der Leipziger Gründungsnacht durch und gewann den Publikumspreis vor 400 Zuschauerinnen und Zuschauern.
 

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