Kunstfest Weimar: Faust (fast) allerorten!
Zu den Highlights des Kunstfestes 2025 zählten eine Uraufführung – und eine Rückkehr nach drei Jahrzehnten.
von Frank Kaltofen
(Foto: Candy Welz)
Es hätte wohl beinahe wie ein „Goethe war hier“-Stadtplan von Weimar gewirkt – so zahlreich waren beim diesjährigen Kunstfest in der Klassikerstadt die Veranstaltungen mit Faust-Bezug. Im großen Faust-Themenjahr der Klassik Stiftung – denn 2025 markiert den 250. Jahrestag der Ankunft Goethes in Weimar – wollte sich das Kunstfest offensichtlich nicht lumpen lassen.
Den Auftakt dazu machte in der ersten Festivalwoche eine Uraufführung, die internationale Koproduktion „FaustX“ des südafrikanischen Regisseurs Brett Bailey. Direkt auffällig dabei: Die Darstellerinnen und Darsteller stehen bereits auf der Bühne in Reih und Glied, während das Publikum noch in die Redoute strömt – ein Gebäude in Weimars Norden, das zur DDR-Zeit die Führungsriege der in Nohra stationierten sowjetischen Gardearmee beherbergte.
Baileys freie Adaption von Faust II beginnt mit einem Rückblick: Wir sehen projizierte Ausschnitte der berühmten Stummfilm-Version Friedrich Wilhelm Murnaus aus dem Jahr 1926, die Wette im Himmel zwischen Schöpfer und Mephisto. Anschließend wird auf der Bühne eine schriftliche Kurzzusammenfassung der Tragödie erster Teil geboten. Später werden wir akustisch – etwa mit Gretchens Kerkermonolog der Schweizerin Ella Büchi aus der 1960 verfilmten Gründgens-Inszenierung – immer wieder mal an diese Vorgänge erinnert.
Aber der Reihe nach: Zunächst entspinnt Brett Bailey seine sehr lose Adaption als Maskerade (oder sollte man eher sagen: Musk-erade?) des vermeintlich uninszenierbaren zweiten Faust-Teils. Angesichts der schieren Menge dieses Stoffes können das freilich nur Versatzstücke sein: sei es der Kaiserpalast, die Liebe zu Helena, das Schicksal von Philemon und Baucis. Faust mit unverkennbarer Ähnlichkeit zu Elon Musk lässt bei Hofe Bitcoins aus dem Nichts entstehen, indem er melodisch auf seinem Apple-Device herumklimpert. Er mischt sich in die Geschicke eines afrikanischen Staates ein, wird Nutznießer kriegerischer Auseinandersetzungen. Später sehnt er sich im hohen Alter fort zu einem „unberührten Planeten“ und fährt gen Himmel in einer Rakete – wohl zum Mars, den der echte Elon ja so gern erreichen würde.
Musk(-erade) in Weimar: Tech-Milliardär in Faust-Adaption von Brett Bailey
(Foto: Candy Walz)
Baileys Inszenierung ist immer wieder hinter- und unterlegt mit beeindruckenden Video-Projektionen. Dadurch und durch den Aufbau der Bühne wird, in mehr als einer Hinsicht, auf verschiedenen Ebenen erzählt. Für diese oft im Wortsinne „hintergründigen“ Botschaften wäre Fausts äußerliche Ähnlichkeit zu Musk gar nicht nötig – man fragt sich zwischenzeitlich: Wurde diese eventuell im Laufe der Produktion noch eingebaut, angesichts aktueller Entwicklungen?
Aber spätestens, als der maskierte Milliardär seine Gedanken in den Feed der „FaustX“-Startseite tippt, wird klar: Es geht dem südafrikanischen Regisseur eben genau darum, eine Parodie auf den Größenwahn eines Milliardärs und die vermeintliche Allmacht technologischer Innovation zu zeigen – erzählt mit den Mitteln des berühmten Goethe-Dramas.
Ein Kölner nach Stralsund, ein Faust nach Afrika
Mit „Faustus in Africa“ von William Kentridge kehrte eine weitere Faust-Adaption eines südafrikanischen Künstlers in diesem Jahr am letzten Abend des Kunstfestes nach Weimar zurück. Vor dem Stück wurde auf der Bühne des Deutschen Nationaltheaters allerdings der bisherige Leiter des Kunstfestes verabschiedet: Nach sieben Jahren geht die Intendanz von Rolf Hemke in Weimar zu Ende.
DNT-Geschäftsführerin Sabine Rühl würdigte den Kölner in ihren Dankesworten als „umtriebigen Netzwerker“, der ein Festival aller Künste nach Weimar gebracht habe. Vor seinem Abgang nach Stralsund ans dortige Theater gibt Hemke selbst dem Weimarer Publikum noch mit auf den Weg: „Behalten Sie Ihre Neugierde!“
Menschlicher Smoking-Teufel trifft Puppen-Doktor Faust: „Faustus in Africa“ von William Kentridge
(Foto: Thomas Müller)
Im Anschluss heißt es „Bühne frei“ für eine Neuinterpretation des Puppenspiels von William Kentridge und der weltweit gefeierten Handspring Puppet Company. Ähnlich wie bei Baileys „FaustX“ geht es auch hier um Themen wie Gier und Kolonialismus. Am Beginn aber steht ein sehr klassisches Studierzimmer mit Bergen an Büchern und Papieren, schließlich sind wir hier (noch) im ersten Teil von Goethes Tragödie.
Kentridges „Faustus in Africa“, das vor nun 30 Jahren im Rahmen des Kunstfestes uraufgeführt worden war, bringt für heutige Theaterbesucher mehrere Vorteile mit sich. Zum einen kann man berühmte Faust-Szenen hier einmal in englischer Übersetzung erleben. Zum anderen ist diese Faust-Adaption erfrischend analog in ihrer Darstellung; Bildsprache mit Kohlezeichnungen verbindet sich mit Projektion und Schattenspiel. Und natürlich die Puppen: Ausdrucksstark werden sie zum Leben erweckt von jeweils zwei Puppenspielern, die ihrerseits mit ihrem ganzen Körper samt Mimik die Emotionen der jeweiligen Figur unterstützen. Einzig der Pudel, dessen Kern es ja bekanntermaßen zu erkennen gilt, wirkt eher wie ein seltsam gerupftes Schaf mit Segelohren.
Dass hingegen ausgerechnet der Teufel von einem menschlichen Schauspieler verkörpert wird, ist sicherlich kein Zufall. Leider gerät dieser menschliche Mephisto in seinem Over-Acting eher wie ein überzeichneter Bösewicht aus einem 80er-Jahre-Actionfilm.
Seltsam gerufter Pudel: Szene aus „Faustus in Africa“ von William Kentridge
(Foto: Thomas Müller)
Gemeinsam mit Faust bereist dieser Mephisto den afrikanischen Kontinent, beide erlegen auf Safari allerhand Großwild auf der Suche nach einem imposanten Geschenk für Gretchen. Die Begehrte arbeitet derweil im Labor statt Wäsche waschend am Brunnen – und legt den ihr zugetragenen Schmuck lieber erst einmal unters Mikroskop.
Ab diesem Punkt verliert sich Kentridges Stück immer mehr ins Fragmentarische und geht zudem in die Welt von Faust II über. Auch hier, wie bei Kentridges Landsmann Bailey: Kaiser, Papiergeld, Helena. Aber zugleich erleben wir, vor allem auf der Bildebene, eine klar kolonialismuskritische Botschaft von Ausbeutung, Kriegen und Massakern an einheimischen Bevölkerungen.
Am Ende dieses kurzweiligen, optisch wirklich einmaligen Puppen-Epos gibt es stehende Ovationen im Großen Haus für das siebenköpfige Ensemble. So zeigt das Kunstfest: Goethes doppelte Faust-Tragödie kann vieles in vielen kulturellen Kontexten sein. Und irgendwie schafft es der Stoff dabei immer (wieder) nach Weimar…