Porträtbild der Dichterin Anna Louisa Karsch

Was heißt und zu welchem Ende studiert man Literarisches Übersetzen?

Eine Erkundung des neuen Studiengangs Literarisches Übersetzen in Theorie und Praxis, der mit dem Sommersemester 2023 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena startet. 

MdM: Herr Professor Costadura, die Frage liegt nahe – was heißt und zu welchem Ende studiert man „Literarisches Übersetzen“? Und was macht gerade die literarische Übersetzungsarbeit besonders?

COSTADURA: Übersetzen ist im weiteren Sinne einer der grundlegenden Prozesse des menschlichen Denkens und mithin der menschlichen Kommunikation schlechthin. Wenn nicht das Denken selbst, so ist wohl das Interpretieren – ganz gleich im welchem Kontext – eine Form des Übersetzens, das heißt: eine Spielart der nie gänzlich abschließbaren Transformation von Fremdem in Eigenes, von Unbekanntem in Vertrautes, von Rätselhaftem oder Verdrängtem in Verständliches oder Offenbares. So setzt beispielsweise eine psychotherapeutische Sitzung eine vielfältige übersetzerische Leistung voraus, sowohl beim Patienten als auch beim Therapeuten. Im Übersetzen von Texten – ganz gleich welcher Art und zwischen welchen Sprachen – wird dieser Prozess sichtbar und materiell erfahrbar. Er wird auch – wenn er einmal „zu Bewusstsein gekommen ist“ – institutionalisiert und formalisiert. In einem weiteren Schritt kann das Übersetzen schließlich vermittelt, also auch unterrichtet werden.
Das Besondere am literarischen Übersetzen liegt nun darin, dass in literarischen Texten – ganz gleich welcher Gattung und Epoche – die jeweilige Sprache in unverwechselbarer Weise, weil kreativ, verwendet und umgesetzt wird. Friedrich Schleiermacher schreibt 1813 in seinem Akademie-Vortrag Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens, jeder Autor stehe als denkendes und redendes Subjekt in einem „zweifachen Verhältniß“ zu der eigenen Sprache. Das bedeutet, dass er eine unauflösbare und singuläre Einheit mit der Sprache bildet, in der er denkt und spricht und die er seinerseits individuell gestaltet. Jeder Autor hat mithin seine eigene Sprache, ja man kann so weit gehen zu sagen, dass jeder Text eines jeden Autors eine jeweils eigene Sprache entwirft – eine je besondere textuelle, literarische Realisierung von Sinn. Als literarischer Übersetzer übersetzt man also immer zwei Sprachen – oder anders gesagt: zwei „Texte“ – gleichzeitig: die Sprache bzw. „Textur“, in der der betreffende Text geschrieben worden ist, und die besondere „Sprache“, das heißt Sprachgebung, des jeweiligen Autors.

Die Kulturtechnik des Übersetzens wird ja inzwischen häufig von KI-gestützten Tools übernommen, die zudem immer leistungsfähiger werden. Angesichts dieser Entwicklung: Welche Zukunft hat eine solche Disziplin in Zeiten der Digitalisierung, sowohl als Ausbildung als auch als späterer Beruf?

Hier spielt das eben Gesagte eine große Rolle: Gerade das Kreative eines jeden Textes als Sprachkunstwerk kann kein KI-Tool angemessen übersetzen. Ich wage zu behaupten, dass Übersetzungssoftware nie zu 100 Prozent in der Lage sein kann und sein wird, semantische Kontexte – auf der paradigmatischen Achse – korrekt nachzuvollziehen und nachzubilden, ganz zu schweigen von den vielen Konnotationen und Nuancen einzelner Wörter und Ausdrücke. Schließlich bezweifle ich, dass KI in der Lage sein kann, Kunstgebilde wie das literarische „Argot“ eines Céline oder eines James Joyce angemessen zu übersetzen. 

Porträtbilder im Gleimhaus Halberstadt

„Das Kreative eines jeden Textes als Sprachkunstwerk kann kein KI-Tool angemessen übersetzen“

Prof. Dr. Edoardo Costadura, Koordinator des neuen Studiengangs

 

(Foto: Anne Günther, FSU Jena)

Welche Synergien erhoffen Sie sich für den neuen Studiengang von der Kooperation mit der Klassik Stiftung Weimar, konkret mit dem Goethe-Schiller-Archiv und der Herzogin Anna Amalia Bibliothek?

Die Kooperation mit der Klassik Stiftung Weimar hat eine symbolische Signalwirkung oder Tragweite, insofern als wir uns damit auf die vielfach „synergetische“ Geschichte der beiden Städte Jena und Weimar als „Leuchttürme“ des literarischen Übersetzens um 1800 berufen. Es sei hier stellvertretend an die Namen von Wieland, Knebel, Johann Joachim Bode, Goethe, Schiller und August Wilhelm Schlegel erinnert. Aber natürlich verfolgt diese Kooperation in erster Linie das Ziel, den Studierenden unseres Masters ein möglichst breites und praktisch anwendbares Know-how im Bereich der Textphilologie zu vermitteln. Konkret erhalten unsere Studierenden einen praxisorientierten Einblick in die Arbeitsbereiche der Herzogin Anna Amalia Bibliothek und des Goethe-Schiller-Archivs. Hierzu gehört beispielsweise die Einführung in die Materialität der Buch- und Handschriftenobjekte, in die Belange der Erschließung, der Provenienzerschließung und der Konservierung von Buchbeständen. Die Studierenden werden zudem mit den wichtigsten Recherchetechniken und nicht zuletzt mit der Expertenrecherche vertraut gemacht. Im Goethe- und Schiller-Archiv werden sie gezielt in die Techniken der Editionsphilologie eingeführt. Hier lernen sie mit Handschriften umzugehen und handschriftliche Texte zu transkribieren. Sie erhalten zudem die Möglichkeit, sich in der Erstellung wissenschaftlicher – zum Beispiel auch digitaler – Editionen oder auch in der Konzeption und Gestaltung von digitalen Präsentationen zu erproben. Nun sind dies allesamt Techniken, deren Kenntnis – ganz im Sinne der im Studiengang verankerten Verzahnung von Theorie, Philologie und Praxis – sowohl für das literarische Übersetzen als auch für die literaturwissenschaftliche Arbeit mit und an literarischen Übersetzungen unerlässlich ist.

Soll es weitere solcher Kooperationen in Thüringen und darüber hinaus in Mitteldeutschland geben? Die Region verfügt ja über ein enorm reiches literarisches Erbe. 

Neben der Klassik Stiftung ist auch die Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar am Studiengang mit einer Kooperation beteiligt: Das Institut für Musikwissenschaft verantwortet ein Modul zum Kulturmanagement. Andere Kooperationen sind in Thüringen vorerst nicht geplant. Über den Universitätsverbund Halle - Jena - Leipzig besteht eine Kooperation mit der Universität Leipzig im Bereich des Portugiesischen. Das Lehrangebot der Translationswissenschaft an der Universität Leipzig ist ferner für unsere Studierende von besonderem Interesse, so dass hier perspektivisch an einen Ausbau der Kooperation gedacht werden könnte.

Stichwort Ausblick: Viele „kleinere“ Masterstudiengänge haben es in den letzten Jahren oft schwer, sogenannte „Orchideenfächer“ werden von Hochschulen mitunter weggespart. Was stimmt Sie optimistisch, dass dieser neue Master dieses Schicksal nicht teilen wird?

Den Start des Studiengangs zum Wintersemester 2022/2023 hatten wir noch mangels qualifizierter Kandidaten bedauerlicherweise verschieben müssen. Aber seit Herbst des vergangenen Jahres haben wir verstärkt Werbemaßnahmen auf verschiedenen Ebenen und über verschiedene Medien ergriffen, die sicherlich fruchten werden. Denn – um auf Ihre Frage zu antworten – das Besondere dieses Masters liegt nicht zuletzt darin, dass er sich sowohl an angehende Übersetzer als auch an Literaturwissenschaftler und Philologen richtet. Eine der Besonderheiten des Konzepts besteht denn auch in der engen Verzahnung von theoretischem, philologischem, auch historischem Wissen und dessen praktischer Anwendung. Auf wunderbare Weise verbindet unser Master – um es mit Heinz Schlaffer zu sagen – „Poesie und Wissen“ und führt mithin die vielfältigen Anwendungsgebiete der literaturwissenschaftlichen Expertise vor Augen. 

 

Die Fragen stellte Frank Kaltofen.

Prof. Dr. Edoardo Costadura hat seit 2011 Lehrstuhl für Romanische Literaturwissenschaft (Französisch und Italienisch an der Friedrich-Schiller-Universität Jena inne. Gemeinsam mit Andrea Meyer-Fraatz (Slawische Literaturwissenschaft), Susanne Daub (Lateinische Philologie des Mittelalters und der Neuzeit) und Meinolf Vielberg (Latinistik) obliegt ihm die Koordination des neuen Masterstudiengangs „Literarisches Übersetzen in Theorie und Praxis“.

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